Produktbeschreibung
Dieses klassische Italienbuch hat bis heute nichts von seiner Frische eingebüßt. Stets geht der Autor vom persönlichen Erlebnis einer Landschaft und ihrer Menschen aus, er befragt sie nach ihrer Geschichte und ihrer Kultur und läßt sie so aufs eindringlichste lebendig werden. Als einer der besten Kenner italienischer Geschichte, als Sprachgestalter ersten Ranges hat uns Ferndinand Gregorovius in den Wanderjahren ein gültiges Werk über Italien hinterlassen.
Zusammenfassung
Aus der Flut der Italienliteratur des 19. Jahrhunderts haben nur
wenige Werke ihre Zeit überdauert und dürfen noch heute
ein unmittelbares Interesse beanspruchen. Um die Jahrhundertmitte
entstanden fast gleichzeitig die beiden "klassischen"
Werke über Italien in deutscher Sprache: Jacob Burckhardts
"Cicerone" und Ferdinand Gregorovius' "Wanderjahre
in Italien".
Burckhardt und Gregorovius haben, jeder auf seine Weise, mit einer
Intensität und Vehemenz Italien in seiner Gesamtheit erfaßt,
daß dahinter alle späteren Versuche dieser Art zurücktreten
müssen. Aber nicht auf die Kunst, wie der "Cicerone",
sondern auf die Geschichte sind die Wanderjahre, ausgerichtet.
Den Ausgangspunkt bildet für Gregorovius dabei immer das
persönliche Erlebnis, die Wanderung durch einen Landstrich,
die Begegnung mit Personen, die Teilnahme an traditionsreichen
Festen. Die Landschaften, Städte und Gegenstände werden
nach ihrer Geschichte, nach ihrem Lebenslauf befragt da nur so
ihr gegenwärtiger Zustand verstanden werden kann.
Erst durch die genaue Beschreibung wird man zu wirklichem Hinsehen
und Verstehen angehalten. So lassen sich die "Wanderjahre"
als Anleitung zu einem angemessenen und richtigen Sehen Italiens
lesen. Gregorovius führt exemplarisch vor, was kein Reiseführer
geben kann. Dabei ist der geographische Rahmen so weit gestreckt,
daß, abgesehen von den oberitalienischen Provinzen, allen
Gebieten von Ravenna bis Sizilien wichtige Abschnitte gewidmet
sind.
"Es ist alles voller Licht, von einem Funkeln der Begeisterung
erfüllt. Hundert Jahre sind nichts vor einem solchen Buch."
W.E. Süskind, SZ
Leseprobe
RAVENNA
1863
Seit dem August des Jahres 1863 geht die adriatische Zweigbahn
von Castel Bolognese nach Ravenna. Man gelangt jetzt in diese
berühmte Stadt von Bologna aus über Imola, Lugo und
Bagnacavallo in wenig mehr als drei Stunden; und so ist eine der
merkwürdigsten Städte des Altertums und Mittelalters,
die bisher vom Menschenverkehr abgelegen und in einer nur mühsam
erreichten Einsamkeit halb verschollen war, mit dem allgemeinen
Leben neu verbunden worden.
Die Städte Italiens stellen fast durchweg die zwei großen
Epochen der Geschichte dieses Landes in ihren Denkmälern
dar: das römische Altertum und das christliche Mittelalter.
Nur Ravenna ist das Monument des Überganges aus der einen
Epoche in die andere, und deshalb von unvergleichlichem Wert.
Das römische Kaisertum in der Zeit seines Falles unter die
Germanen, die erste Gründung des germanischen Königtums
in Italien auf den Trümmern jenes Römerreiches, die
sechzigjährige Herrschaft der Ostgoten und die ihr folgende,
zwei Jahrhunderte umfassende Despotie der Byzantiner, alle diese
Epochen haben in jener einen Stadt ihr Theater gehabt und noch
zahlreiche Denkmäler ihrer Geschichte in ihr zurückgelassen.
Wer nach Ravenna kommt und diese Monumente so alter Zeit sieht,
Grabmäler des fünften und sechsten Jahrhunderts, Kirchen
strahlend von Musiven ebenderselben Zeit, wird von ihnen fast
so ergriffen wie von den Resten Pompejis. Und in der Tat, Ravenna
ist das Pompeji der gotischen und byzantinischen Epoche.
Die oft fast unversehrte Erhaltung dieser Denkmäler ist einem
Wunder gleich zu achten, wenn man sich vorstellt, welche wilde,
verwüstende Jahrhunderte darüber hinweggegangen sind.
Sie erklärt sich für das frühere Mittelalter aus
dem glücklichen Umstände, daß es den Langobarden
nicht gelang, Ravenna den byzantinischen Exarchen zu entreißen.
Erst im Jahre 727 oder 728 vermochte der König Liutprand
dort einzuziehen, in einer Zeit, wo jene furchtbaren Krieger bereits
von der Kultur gezähmt waren. Weder er noch sein zweiter
Nachfolger auf dem langobardischen Thron, Aistulf, vergriffen
sich an den Monumenten dieser berühmten Stadt. Nur Classe,
eine Vorstadt, mochte durch Liutprand zerstört worden sein.
Lange Zeit war Ravenna Sitz der byzantinischen Verwaltung Italiens,
von wo aus das tief herabgekommene Rom wie eine Provinzialstadt
regiert wurde. Sie genoß daher ab und zu der Fürsorge
selbst byzantinischer Kaiser, welche dies Kleinod ihrer italienischen...
Autoreninfo
Ferdinand Gregorovius (1821-1891) studierte in Königsberg zunächst Theologie, dann Philosophie und Geschichte. In seinen frühen Dichtungen beschäftigte er sich mit historischen Themen. Seine späteren Reiseberichte 'Wanderjahre in Italien' woraus auch die 'Idyllen vom baltischen Ufer' stammen, schlagen eine Brücke zwischen seiner ostpreußischen Heimat, aus der Gregorovius stammte, und der geistigen Heimat, in der sein Lebenswerk seine Erfüllung fand.