Produktbeschreibung
"Seit ihrem ersten Erscheinen vor zehn Jahren sind die Lieblosen Legenden fast schon legendär geworden - und vielleicht auch die Welt, auf die ihre Lieblosigkeit gemünzt war. Aber die Liebe wie ihr Gegenteil klammern sich an ihren Gegenstand: so halten Hildesheimers Geschichten das Bild einer Welt fest, die es noch verdient, mit dem verwunderten Blick des Kindes und zugleich mit dem bösen des Satirikers angesehen zu werden; sie errötet unter diesen Blicken, aber das steht ihr."
Inhaltsverzeichnis
Das Ende einer Welt. Ich schreibe kein Buch über Kafka. 156 - ein Pilzjahr.
Bildnis eines Dichters. Die zwei Seelen. Westcottes Glanz und Ende. Aus meinem
Tagebuch. Das Gastspiel des Versicherungsagenten. Warum ich mich in eine
Nachtigall verwandelt habe. Die Dachwohnung. Eine größere Anschaffung. Ich trage
eine Eule nach Athen. Der hellgraue Frühjahrsmantel. Ich finde mich zurecht. Das
Atelierfest. Der Urlaub. Der Brei auf unserer Haut. Schläferung.
Leseprobe
Die letzte Abendgesellschaft der Marchesa Montetristo hat mir
einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Zu diesem Eindruck hat
natürlicherweise auch der seltsame, beinahe einmalige Abschluß
beigetragen. Schon dieser allein war ein Ereignis, das man nicht
leicht vergißt. Wahrhaftig, es war ein denkwürdiger
Abend. Meine Bekanntschaft mit der Marchesa - einer geborenen
Watermann aus Little Gidding, Ohio - beruhte auf einem Zufall.
Ich hatte ihr durch Vermittlung meines Freundes, Herrn von Perlhuhn
(des Abraham-a-Santa Clara-Forschers, nicht des Neo-Mystikers),
die Badewanne verkauft, in welcher Marat ermordet wurde, die sich
- was vielleicht nicht allgemein bekannt ist - bis dahin in meinem
Besitz befunden hatte. Spielschulden hatten mich gezwungen, einige
Stücke meiner Kollektion zu veräußern. Ich geriet
also, wie gesagt, an die Marchesa, die für ihre Sammlung
von Waschutensilien des achtzehnten Jahrhunderts gerade dieses
Gerät schon lange gesucht hatte. Wir trafen uns zum Tee,
einigten uns nach kurzem, höflichem Handeln über den
Preis der Wanne, und dann geriet unser Gespräch in die Bahn
solcher Themen, wie Sammler und Kenner sie vielfach gemeinsam
haben...
Autoreninfo
Wolfgang Hildesheimer wurde am 9. Dezember 1916 als Sohn jüdischer Eltern in Hamburg geboren und verlebte seine Kindheit in Hamburg, Berlin, Cleve, Njimegen und Mannheim. Nach der Machtergreifung Hitlers musste er 1933 mit seinen Eltern über England nach Palästina emigrieren. In Israel absolvierte er von 1934 bis 1937 eine Tischlerlehre und wurde in Möbeldesign und Innenarchitektur unterrichtet. Zwischen 1937 und 1939 studierte Hildesheimer in London Malerei und Bühnenbildnerei an der Central School of Arts and Crafts. Während dieser Zeit hielt er sich auch in Cornwall auf (Zeiten in Cornwall, 1971); nach seiner Rückkehr nach Palästina 1939 war er bis 1942 als Englischlehrer am British Council in Tel Aviv und bis 1946 als Informationsoffizier in Jerusalem tätig. Bei den Nürnberger Prozessen arbeitete Hildesheimer als Simultandolmetscher (1946-1949), nach 1948 als Redakteur ihrer gesamten Protokolle. Danach zog er sich für vier Jahre an den Starnberger See zurück, wo er zu schreiben an