Produktbeschreibung
Während 1944 aus der Heimat schlimme Nachrichten eintrafen, wurde die Arbeit an diesem Buch zum Ort der Flucht: »Das Schreiben, die einzige kleine Insel der Ordnung« - so notiert Kästner zu Beginn des Jahres in Athen. Wer von der Lektüre seines letzten Buches herkommt, vom Aufstand der Dinge, ward anteilnehmend erkennen, wie groß das Erlebnis war, Menschen und Dinge zu erfahren, ungeachtet der Not der Zeit.
Leseprobe
Als dieses Jahr jung war, habe ich Kreta zum ersten Male gesehen,
aber für ein paar Stunden nur, so daß sich mir dieser
Flug im Gedächtnis findet wie etwas, das mir ein andrer erzählt
hat und mein Vormittagsdortsein nur wie ein Angruß dieser
verehrungswürdigen Insel.
Es war an einem klarkühlen Februartag. Den Herz- und Erinnerungsblick,
den ich von damals hege und trage, empfing ich im Anflug des Morgens.
Die letzte der Kykladen lag schon zurück, und wir näherten
uns Iraklion.
Da erblickte ich, fern wie aus dem Jenseits, in zartester Bläue,
süßester Weiße, einen schneebedeckten Berg.
Es war der Ida. Er war schön wie der Atem, wie der Aushauch
eines träumenden Gottes im Schlaf, leicht wie der letzte
aller Gedanken, rein wie ein Vers, knapp wie der Strich eines
Künstlers im Alter.
Denn Gott macht das Gewaltige gewaltig; das Gewaltigste aber malt
er mit dem feinsten Stift und mit seinen leisesten Pinselzügen.
Jetzt ist es August.
Autoreninfo
Erhart Kästner
geboren am 13. 3. 1904 in Augsburg, ist am 3. 2.
1974 in Staufen gestorben. Erhart Kästner studierte in Leipzig,
Freiburg und Kiel, wurde 1927 Bibliothekar an der Landesbibliothek im Japanischen Palais zu Dresden und dort Leiter der Handschriften-Sammlung und der Sammlung bibliophiler Kostbarkeiten.
Von 1936 bis 1938 war er Sekretär bei Gerhart Hauptmann. Nach
sieben Jahren Krieg und Kriegsgefangenschaft wurde er als Direktor der Herzog-August-Bibliothek zu Wolfenbüttel berufen, der
berühmten Bibliothek von Leibniz und Lessing. Er leitete sie
achtzehn Jahre lang.
Erhart Kästners Werke im Insel Verlag: Zeltbuch von Tumilad
(1949), Ölberge, Weinberge. Ein Griechenlandbuch (1953), Die
Stundentrommel vom heiligen Berg Athos (1956), Die Lerchenschule. Aufzeichnungen von der Insel Delos (1961), Aufstand der
Dinge, Byzantinische Aufzeichnungen (1973), Kreta (1975), Griechische Inseln (1975). Im Suhrkamp Verlag erschien: Offener Brief an
die Königin von Griechenland. Beschreibungen, Bewunderungen
(1973). Dieses während des Zweiten Weltkriegs entstandene, 1944
beendete Buch sollte - so war es mit dem Autor besprochen - neu
aufgelegt werden. Erhart Kästner hatte die Überarbeitung begonnen; doch die Arbeit konnte er nicht beenden, er starb. Nun liegt
Kreta im ursprünglichen Wortlaut vor: ein frühes Buch mit der
»begeistert zupackenden, schwungvollen, gelegentlich sogar überschwenglichen Sprache«.
Während 1944 aus der Heimat schlimme Nachrichten eintrafen,
wurde die Arbeit an diesem Buch zum Ort der Flucht: »Das Schreiben die einzige kleine Insel der Ordnung« - so notiert Kästner zu
Beginn des Jahres in Athen.
Wer von der Lektüre seines letzten Buches herkommt, vom Aufstand der Dinge, wird anteilnehmend erkennen, wie groß das Erlebnis war, Menschen und Dinge zu erfahren, ungeachtet der Not
der Zeit.