Produktbeschreibung
"'Wunderbare Detektoren zur Erkundung des Verborgenen' hat Friedhelm Kemp
diese 'Erzählungen' genannt, die Kafka selbst zumeist nur als 'Stücke',
'Stückchen', bestenfalls als 'Geschichten' bezeichnet hat. Die hier vorliegende
Ausgabe folgt diesem Muster denn auch im Titel; im Gegensatz zu den früheren
Editionen wird die kurze Prosa jedoch nach den vermutlichen Entstehungsdaten,
nicht wie bisher nach bereits zu Lebzeiten und nach aus dem Nachlaß veröffentlichten
'Erzählungen', geordnet. Textgrundlage ist die Kritische Ausgabe der Werke
von Franz Kafka, die, soweit sie erhalten sind, den Handschriften und,
wo dies nicht möglich ist, den jeweils letzten autorisierten Fassungen
des Drucks folgt, ohne editorisch in sie einzugreifen."
Zusammenfassung
»Wunderbare Detektoren zur Erkundung des Verborgenen«
hat Friedhelm Kemp diese "Erzählungen" genannt,
die Kafka selbst zumeist nur als »Stücke«, »Stückchen«,
bestenfalls als »Geschichten« bezeichnet hat. Es ist
inzwischen - außerhalb der Literaturwissenschaft - allgemein
üblich geworden, unterschiedlichste Prosatexte Kafkas unter
diesem Sammelbegriff zusammenzutragen. Die hier vorliegende wissenschaftlich
erarbeitete Neuausgabe folgt diesem Muster denn auch im Titel;
im Gegensatz zu den früheren Editionen wird die kurze Prosa
jedoch nach den vermutlichen Entstehungsdaten, nicht wie bisher
nach bereits zu Lebzeiten und nach aus dem Nachlaß veröffentlichten
»Erzählungen«, geordnet.
Textgrundlage ist die Kritische Ausgabe der Werke von Franz Kafka,
die, soweit sie erhalten sind, den Handschriften und, wo dies
nicht möglich ist, den jeweils letzten autorisierten Fassungen
des Drucks folgt, ohne editorisch in sie einzugreifen. Die Eigenheiten
von Orthographie und Interpunktion, die auf den ersten Blick irritierend
wirken mögen, werden wie bei den übrigen Neuausgaben
im Fischer Taschenbuch Verlag auch hier beibehalten, um den jeweils
authentischen Text zu bieten. - Den größten Teil seiner
Prosa hat Franz Kafka ohne Überschriften gelassen. Der erste
Herausgeber seiner Werke, sein Freund Max Brod, hat die einzelnen
Texte später entsprechend bezeichnet, vermutlich um dem Leser
den Zugang zu erleichtern; diese Betitelungen werden aus dem gleichen
Grund, kursiv gesetzt, in diese Ausgabe übernommen.
Inhaltsverzeichnis
Wunsch, Indianer zu werden - Die Abweisung - Die Bäume - Kleider - Der Kaufmann - Der Nachhauseweg - Zerstreutes Hinausschaun - Die Vorüberlaufenden - Der Fahrgast - Zum Nachdenken für Herrenreiter - Unglücklichsein - Der Ausflug ins Gebirge - Kinder auf der Landstraße - Entlarvung eines Bauernfängers - Das Gassenfenster - Die städtische Welt - Großer Lärm - Das Unglück des Junggesellen - Der plötzliche Spaziergang - Entschlüsse - Das Urteil - Der Heizer - Die Verwandlung - Vor dem Gesetz - In der Strafkolonie - Der Dorfschullehrer - Ein junger ehrgeiziger Student - Blumfeld ein älterer Junggeselle - Ein Traum - Auf der Galerie - Ein Landarzt - Ein Brudermord - Dich Brücke - Texte zum Jäger Gracchus-Thema - Der Kübelreiter - Schakale und Araber - Der neue Advokat - Gestern kam eine Ohnmacht - Ich hätte mich - Beim Bau der chinesischen Mauer - Eine kaiserliche Botschaft - Ein altes Blatt - Es war Sommer - Elf Söhne - Mein Geschäft - Eine Kreuzung - Ein Bericht für eine Akademie und andere Texte zum Rotpeter-Thema - Ein Besuch im Bergwerk - Das nächste Dorf - Die Sorge des Hausvaters - K. war ein großer Taschenspieler - Neue Lampen - Eine alltägliche Verwirrung - Die Wahrheit über Sancho Pansa - Das Schweigen der Sirenen - Eine Gemeinschaft von Schurken - Bei den Toten zu Gast - Nachts - Unser Städtchen liegt - Zur Frage der Gesetze - Die Truppenaushebung - Poseidon - Gemeinschaft - Das Stadtwappen - Der Steuermann - Konsolidierung - Die Prüfung - Der Geier - Kleien Fabel - Der Kreisel - Der Aufbruch - Erstes Leid - Fürsprecher - Ein Hungerkünstler - In unserer Synagoge - Es war einmal ein Geduldspiel - Forschungen eines Hundes - Das Ehepaar - Ein Kommentar - Viele beklagen sich - Ich bin zurückgekehrt - Der Bau - Eine kleine Frau - Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse
Leseprobe
Ich stehe auf der Plattform des elektrischen Wagens und bin vollständig
unsicher in Rücksicht meiner Stellung in dieser Welt,
in dieser Stadt, in meiner Familie. Auch nicht beiläufig
könnte ich angeben, welche Ansprüche ich in irgendeiner
Richtung mit Recht vorbringen könnte. Ich kann es gar nicht
verteidigen, daß ich auf dieser Plattform stehe, mich an
dieser Schlinge halte, von diesem Wagen mich tragen lasse, daß
Leute dem Wagen ausweichen oder still gehn oder vor den Schaufenstern
ruhn. - Niemand verlangt es ja von mir, aber das ist gleichgültig.
Der Wagen nähert sich einer Haltestelle, ein Mädchen
stellt sich nahe den Stufen, zum Aussteigen bereit. Sie erscheint
mir so deutlich, als ob ich sie betastet hätte. Sie ist schwarz
gekleidet, die Rockfalten bewegen sich fast nicht, die Bluse ist
knapp und hat einen Kragen aus weißer kleinmaschiger Spitze,
die linke Hand hält sie flach an die Wand, der Schirm in
ihrer Rechten steht auf der zweitobersten Stufe. Ihr Gesicht ist
braun, die Nase, an den Seiten schwach gepreßt, schließt
rund und breit ab. Sie hat viel braunes Haar und verwehte Härchen
an der rechten Schläfe. Ihr kleines Ohr liegt eng an, doch
sehe ich, da ich nahe stehe, den ganzen Rücken der rechten
Ohrmuschel und den Schatten an der Wurzel.
Ich fragte mich damals: Wieso kommt es, daß sie nicht über
sich verwundert ist, daß sie den Mund geschlossen hält
und nichts dergleichen sagt?
Autoreninfo
Franz Kafka wurde am 3. Juli 1883 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Prag geboren. Von 1901 bis 1906 studierte er zunächst kurze Zeit Germanistik, dann Jura. Nach der Promotion zum Dr. jur. absolvierte er eine einjährige "Rechtspraxis", trat dann 1907 in die "Assicurazioni Generali" ein und ging 1908 als Jurist zur "Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt", wo er bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1922 blieb. Ende 1917 erlitt Franz Kafka einen Blutsturz, es war der Beginn einer Tuberkulose, an der er einige Jahre später, am 3. Juni 1924, starb.