Produktbeschreibung
Die Novellen sind in zwei Gruppen zu je fünf Geschichten zusammengefasst.
Ein Vorwort schildert Handel und Wandel im fiktiven Städtchen Seldwyla,
einem >>wonnigen und sonnigen Ort... irgendwo in der Schweiz<<. Die scheinbare
Idylle ist indes brüchig: Kleinbürgerliche Enge, Existenznöte und gestörte
familiäre Verhältnisse - wiederkehrende Hauptmotive im OEuvre von Keller
- bestimmen den Alltag der Seldwyler, die nichtsdestotrotz mit Sympathie
und feiner Ironie als eine Ansammlung skurriler Außenseiter geschildert
werden. Zu ihnen gehört etwa Pankraz, der Schmoller, der aus der Enge von
Dorf und Elternhaus in die weite Welt flieht, wo ihn ein eitles Fräulein
und ein wilder Löwe von seiner Verstocktheit heilen. Einen ernsten Erzählton
schlägt die aus dem Rahmen fallende Erzählung Romeo und Julia auf dem Dorfe
an, die das shakespearesche Drama in die Wirkungsvolle Naturkulisse der
ländlichen Schweiz verlegt. Unerbittlich strebt das Geschehen zum tragischen
Höhepunkt, den Doppelselbstmord des gesellschaftlich geächteten Liebespaars.
Den Abschluss des ersten Bands bildet das an E. T. A. R Hoffmann gemahnende
Märchen Spiegel, das Kätzchen. Zu den populärsten Erzählungen des zweiten
Bands gehören Kleider machen Leute, die tragikomische Geschichte des gar
nicht tapferen Schneiderleins Wenzel, das gesellschaftliche Anerkennung
durch den Diebstahl eines kostbaren Gewands erringen will und kläglich
scheitert, und Die missbrauchten Liebesbriefe. Gemildert wird der bisweilen
grimmige Humor des Autors durch die starke Verankerung seiner Prosa in
Brauchtum und Kultur seines Heimatlands, die den Erzählungen einen volkstümlichen
Charakter verleiht.
Inhaltsverzeichnis
Pankraz, der Schmoller - Romeo und Julia auf dem Dorfe - Frau Regel Amrain und
ihr Jüngster - Die drei gerechten Kammacher - Spiegel, das Kätzchen - Kleider
machen Leute - Der Schmied seines Glückes - Die mißbrauchten Liebesbriefe -
Dietegen - Das verlorne Lachen
Leseprobe
Seldwyla bedeutet nach der älteren Sprache einen wonnigen
und sonnigen Ort, und so ist auch in der Tat die kleine Stadt
dieses Namens gelegen irgendwo in der Schweiz. Sie steckt noch
in den gleichen alten Ringmauern und Türmen wie vor dreihundert
Jahren und ist also immer das gleiche Nest; die ursprüngliche
tiefe Absicht dieser Anlage wird durch den Umstand erhärtet,
daß die Gründer der Stadt dieselbe eine gute halbe
Stunde von einem schiffbaren Flusse angepflanzt, zum deutlichen
Zeichen, daß nichts daraus werden solle. Aber schön
ist sie gelegen, mitten in grünen Bergen, die nach der Mittagseite
zu offen sind, so daß wohl die Sonne herein kann, aber kein
rauhes Lüftchen. Deswegen gedeiht auch ein ziemlich guter
Wein rings um die alte Stadtmauer, während höher hinauf
an den Bergen unabsehbare Waldungen sich hinziehen, welche das
Vermögen der Stadt ausmachen; denn dies ist das Wahrzeichen
und sonderbare Schicksal derselben, daß die Gemeinde reich
ist und die Bürgerschaft arm, und zwar so, daß kein
Mensch zu Seldwyla etwas hat und niemand weiß, wovon sie
seit Jahrhunderten eigentlich leben. Und sie leben sehr lustig
und guter Dinge, halten die Gemütlichkeit für ihre besondere
Kunst, und wenn sie irgendwo hinkommen, wo man anderes Holz brennt,
so kritisieren sie zuerst die dortige Gemütlichkeit und meinen,
ihnen tue es doch niemand zuvor in dieser Hantierung.
Der Kern und der Glanz des Volkes besteht aus den jungen Leuten
von etwa zwanzig bis fünf-, sechsunddreißig Jahren,
und diese sind es, welche den Ton angeben, die Stange halten und
die Herrlichkeit von Seldwyla darstellen. Denn während dieses
Alters üben sie das Geschäft, das Handwerk, den Vorteil
oder was sie sonst gelernt haben, d.h. sie lassen, solange es
geht, fremde Leute für sich arbeiten und benutzen ihre Profession
zur Betreibung eines trefflichen Schuldenverkehres, der eben die
Grundlage der Macht, Herrlichkeit und...
Autoreninfo
Gottfried Keller (1819 - 1890) gilt als Schweizer Pendant zu Theodor Fontane. Weltberühmt ist vor allem sein Novellenzyklus 'Die Leute aus Seldwyla'.