Produktbeschreibung
Das Thema von Romeo und Julia, das bis ins 15. Jahrhundert zurückgeht und durch Shakespeare seine bedeutendste Gestaltung fand (Hamburger Leseheft Nr. 128), verlegt Keller ins dörfliche Milieu. Wiederholt wurde die Liebesgeschichte als die "schönste deutsche Dorfgeschichte" bezeichnet. Die feindlichen Väter von Sali und Vrenchen widersetzen sich den Gefühlen der beiden Liebenden zueinander. Als sie für ihre Liebe keine Zukunft sehen können, scheiden die beiden leichten Herzens gemeinsam aus dem Leben.
Das Hamburger Leseheft enthält neben dem ungekürzten Text (mit seitenweiser Zeilenzählung) alphabetisch sortierte Worterläuterungen sowie ein ausführliches Nachwort, das sich mit dem Leben des Dichters und dem vorliegenden Werk befasst und zusätzlich den ursprünglichen, längeren Schluss der Erzählung enthält.
Leseprobe
Diese Geschichte zu erzählen würde eine müßige
Nachahmung sein, wenn sie nicht auf einem wirklichen Vorfall beruhte,
zum Beweise, wie tief im Menschenleben jede jener Fabeln wurzelt,
auf welche die großen alten Werke gebaut sind. Die Zahl
solcher Fabeln ist mäßig; aber stets treten sie in
neuem Gewande wieder in die Erscheinung und zwingen alsdann die
Hand, sie festzuhalten.
An dem schönen Flusse, der eine halbe Stunde entfernt an
Seldwyl vorüberzieht, erhebt sich eine weitgedehnte Erdwelle
und verliert sich, selber wohlbebaut, in der fruchtbaren Ebene.
Fern an ihrem Fuße liegt ein Dorf, welches manche große
Bauernhöfe enthält, und über die sanfte Anhöhe
lagen vor Jahren drei prächtige lange Äcker weithingestreckt
gleich drei riesigen Bändern nebeneinander. An einem sonnigen
Septembermorgen pflügten zwei Bauern auf zweien dieser Äcker,
und zwar auf jedem der beiden äußersten; der mittlere
schien seit langen Jahren brach und weist zu liegen, denn er war
mit Steinen und hohem Unkraut bedeckt, und eine Welt von geflügelten
Tierchen summte ungestört über ihm. Die Bauern aber,
welche zu beiden Seiten hinter ihrem Pfluge gingen, waren lange,
knochige Männer von ungefähr vierzig Jahren und verkündeten
auf den ersten Blick den sichern, gutbesorgten Bauersmann. Sie
trugen kurze Kniehosen von starkem Zwillich, an dem jede Falte
ihre unveränderliche Lage hatte und wie in Stein gemeißelt
aussah. Wenn sie, auf ein Hindernis Stoßend, den Pflug fester
faßten, so zitterten die groben Hemdärmel von der leichten
Erschütterung, indessen die wohlrasierten Gesichter ruhig
und aufmerksam, aber ein wenig blinzelnd in den Sonnenschein vor
sich hinschauten, die Furche bemaßen oder auch wohl zuweilen
sich umsahen, wenn ein fernes Geräusch die Stille des Landes
unterbrach. Langsam und mit einer gewissen natürlichen Zierlichkeit
setzten sie einen Fuß um den anderti vorwärts, und
keiner sprach ein Wort außer wenn er etwa dem Knechte, der
die stattlichen Pferde antrieb, eine Anweisung gab. So glichen
sie einander vollkommen in einiger Entfernung; denn Sie stellen
die ursprüngliche Art dieser Gegend dar, und man hätte
sie auf den ersten Blick nur daran unterscheiden können,
daß der eine den Zipfel seiner weißen Kappe nach vorn
trug, der andere aber hinten im Nacken hängen hatte. ...
Autoreninfo
Gottfried Keller (1819 - 1890) gilt als Schweizer Pendant zu Theodor Fontane. Weltberühmt ist vor allem sein Novellenzyklus 'Die Leute aus Seldwyla'.