Produktbeschreibung
Kesslers Tagebücher, unter dem frischen Eindruck der Geschehnisse spontan niedergeschrieben, vermitteln ein Bild der zwanziger Jahre von einer Unmittelbarkeit und Lebendigkeit, wie sie sonst nirgends zu finden sind.
Zusammenfassung
Harry Graf Kessler, geboren am 23. Mai 1868 in Paris,
ist am 4. Dezember 1937 in Südfrankreich gestorben.
Es war ein unruhiges Leben, das der kosmopolitische Harry Graf
Kessler zu führen pflegte, vornehmlich in Berlin und Weimar.
Der Diplomat, Schriftsteller und Mäzen war ungewöhnlich
vielseitig gebildet, ein erfahrener Chronist seiner Zeit. Er entwarf
mit Hugo von Hofmannsthal das Libretto zur Josephslegende von
Richard Strauss, druckte auf seiner Cranachpresse eine vorbildliche
Vergil-Ausgabe mit den von ihm angeregten Holzschnitten Maillols,
schrieb die Biographie des Politikers Walther Rathenau und war
durch einen eigenen Entwurf zu einem Völkerbund und als Präsident
der "Friedensgesellschaft" um eine Verständigung
der Völker bemüht. Kaum ein zweiter unter seinen Zeitgenossen
überblickte so wie er das politische, künstlerische
und gesellschaftliche Leben dieser Epoche. Als die Nazis in Deutschland
die Macht übernahmen, hielt er sich gerade in Paris auf.
Er kehrte nicht in sein Land zurück und starb still und zurückgezogen
am 4. Dezember 1937.
Seine Tagebücher, unter dem frischen Eindruck der Geschehnisse
spontan niedergeschrieben, vermitteln ein Bild der zwanziger Jahre
von einer Unmittelbarkeit und Lebendigkeit, wie sie sonst nirgends
zu finden sind.
Leseprobe
Berlin-Magdeburg. 6. November 1918.
Mittwoch Früh um acht telephonierte mich Hatzfeldt an, das
Kabinett habe doch noch gestern abend in Sachen Pilsudski einen
Beschluß gefaßt, allerdings in Abwesenheit des Kanzlers
und nach aufgehobener Sitzung im Stehen, aber unter Zustimmung
von Groener und Hoffmann. Er soll freigelassen werden, aber vorher
eine schriftliche Erklärung abgeben, deren Wortlaut von General
Hoffmann aufgesetzt ist. Ich wurde beauftragt, hinzufahren und
ihn zu der Erklärung zu bestimmen.
Mit Hatzfeldt ins Kanzlerpalais, wo der Kanzler nicht zu sehen
war; dagegen Groener, den ich nur einen Augenblick, ohne Pilsudski
zu erwähnen, sprach; dann Haeften, der die Sache formal in
die Hand nahm. Im gewaltigen Kongreßsaal berieten derweilen
an einem Tischchen der Marinestaatssekretär Mann und der
Sozialdemokrat Ebert; Haeften hatte Eile, weil er Hermann Müller
in ein Flugzeug setzen mußte, damit er nach Hamburg fliege,
wohin die Verbindungen unterbrochen sind; Scheidemann schritt
majestätisch im Gespräch mit einem anderen Staatsmanne
durch die Säle. Auf der Treppe traf ich Oberndorff, der mir
zurief, daß er um fünf mit Erzberger zu Foch ins französische
Hauptquartier fahre, um die Waffenstillstandsbedingungen zu erfahren.
Das débâcle ist vollständig, Kapitulation und
Revolution; in diesen durch den Berliner Kongreß bismarckisch
geweihten Räumen ebenso packend wie vor fünfzig Jahren.
die Kaiserkrönung in Versailles. Büdingen im Kriegsministerium,
wohin ich mit Hatzfeldt wegen Pilsudski ging, erzählte, außer
Kiel seien Hamburg, Lübeck, Cuxhaven von der...
Autoreninfo
Harry Graf Kessler, geboren 1868 in Paris, aufgewachsen in Frankreich und England. Studium der Jura und Kunstgeschichte in Bonn und Leipzig. 1895 Aufsichtsrat der Zeitschrift "PAN". Mehrere Weltreisen. Bekanntschaft mit u. a. Hofmannsthal, Henry van de Velde, Rilke, Rathenau. Tätigkeit für das Nietzsche-Archiv in Weimar. 1913 Erste Werkstatt der "Cranach-Presse". 1917 Friedenssondierungen mit Frankreich. 1918 Deutscher Gesandter in Warschau. März 1933: Kessler verlässt Deutschland. Übersiedlung nach Paris, dann nach Mallorca. 1937 Kessler stirbt in Lyon.