Produktbeschreibung
Der Rosshändler Michael Kohlhaas sucht sein Recht und wird darüber zum Räuber. Er muss erkennen, dass es das absolute Recht nicht geben kann, sondern dass die Rechtsprechung an die Gesellschaft gebunden ist. Schliesslich ereilt ihn selbst das Gericht, dem er sich beugt: Er stirbt auf dem Schaffot. Diese Novelle beruht, wie der Untertitel angibt, auf einer alten Chronik, aus der der Anhang Auszüge bringt. Über Leben und Werk des Dichters gibt das Nachwort Auskunft. Die Anmerkungen enthalten Erklärungen für den Schüler.
Leseprobe
An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts,
ein Roßhändler, namens Michael Kohlhaas, Sohn
eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und
entsetzlichsten Menschen seiner Zeit.- Dieser außerordentliche
Mann würde, bis in sein dreißigstes Jahr für das
Muster eines guten Staatsbürgers haben gelten können.
Er besaß in einem Dorfe, das noch von ihm den Namen führt,
einen Meierhof, auf welchem er sich durch sein Gewerbe ruhig ernährte;
die Kinder, die ihm sein Weib schenkte, erzog er, in der Furcht
Gottes, zur Arbeitsamkeit und Treue; nicht einer war unter seinen
Nachbarn, der sich nicht seiner Wohltätigkeit, oder seiner
Gerechtigkeit erfreut hätte; kurz, die Welt würde sein
Andenken haben segnen müssen, wenn er in einer Tugend nicht
ausgeschweift hätte. Das Rechtgefühl aber machte ihn
zum Räuber und Mörder.
Er ritt einst, mit einer Koppel junger Pferde, wohlgenährt
alle und glänzend, ins Ausland, und überschlug eben,
wie er den Gewinst, den er auf den Märkten damit zu machen
hoffte, anlegen wollte: teils, nach Art guter Wirte, auf neuen
Gewinst, teils aber auch auf den Genuß der Gegenwart: als
er an die Elbe kam, und bei einer stattlichen Ritterburg, auf
sächsischem Gebiete, einen Schlagbaum traf, den er sonst
auf diesem Wege nicht gefunden hatte. Er hielt, in einem Augenblick,
da eben der Regen heftig stürmte, mit den Pferden still,
und rief den Schlagwärter, der auch bald darauf, mit einem
grämlichen Gesicht, aus dem Fenster sah. Der Roßhändler
sagte, daß er ihm öffnen solle. Was gibts hier Neues?
fragte er, da der Zöllner, nach einer geraumen Zeit, aus
dem Hause trat. Landesherrliches Privilegium, antwortete dieser,
indem er aufschloß: dem Junker Wenzel von Tronka verliehen.
- So, sagte Kohlhaas. Wenzel heißt der Junker? und sah sich
das Schloß an, das mit glänzenden Zinnen über
das Feld blickte. Ist der alte Herr tot? - Am Schlagfluß
gestorben, erwiderte der Zöllner, indem er den Baum in die
Höhe ließ. - Hm! Schade! versetzte Kohlhaas. Ein würdiger
alter Herr, der seine Freude am Verkehr der Menschen hatte, Handel
und Wandel, wo er nur vermochte, forthalf, und einen Steindamm
einst bauen ließ, weil mir eine Stute, draußen, wo
der Weg ins Dorf geht, das Bein gebrochen. Nun! Was bin ich schuldig?
- fragte er; und holte die Groschen, die der Zollwärter verlangte,
mühselig unter dem im Winde flatternden Mantel hervor. "Ja,
Alter", setzte er noch hinzu, da dieser: hurtig! hurtig!
murmelte, und über die Witterung fluchte: "wenn der
Baum im Walde stehen geblieben wäre, wärs besser gewesen.
für mich und Euch"; und damit gab er ihm das Geld und
wollte reiten.
Autoreninfo
Heinrich von Kleist wurde am 18. Oktober 1777 in Frankfurt/Oder geboren. Er schlug zunächst die Offizierslaufbahn ein, begann später sein Studium der Rechtswissenschaften und unternahm Reisen durch Frankreich und die Schweiz. In Dresden gründete er 1808 die Zeitschrift "Phöbus", in der einige seiner Dramen und Erzählungen erschienen. Am 21. November 1811 nahm er sich am Wannsee bei Berlin das Leben.