Produktbeschreibung
Lucas kehrt nach Jahrzehnten zurück in die Stadt seiner Kindheit. Er erinnert sich an die Jahre der Einsamkeit, getrennt von seinem Zwillingsbruder Claus, an den Krieg, an den gemeinsamen Unterschlupf bei der Großmutter »Hexe«. Nun sucht er seinen Bruder.
Zusammenfassung
Lucas kehrt nach Jahrzehnten im Ausland zurück in die Stadt
seiner Kindheit. Er erinnert sich an die Jahre der Einsamkeit,
getrennt von seinem Zwillingsbruder, an den Krieg, an den gemeinsamen
Unterschlupf bei der Großmutter, der »Hexe«.
Nun sucht er seinen Bruder. Als er meint, ihn endlich aufgespürt
zu haben, verleugnet sich dieser. Welcher der beiden Männer
träumt, welcher lügt? Was ist in der Vergangenheit
geschehen? Die Zwillinge Lucas und Claus trennt und verbindet
mehr und anderes als ihre bloße Lebensgeschichte. Agota
Kristof näherte sich ihnen in drei Romanen: »Das große
Heft«, »Der Beweis« und in »Die dritte Lüge«,
dem Abschluß der Trilogie. Sie zieht den Leser in den Bann
nicht aufzuklärender Fragen. Denn jede Lebensgeschichte
zeigt, während sie erzählt wird, immer wieder andere
Facetten. Die Wahrheit über ein Leben ist ebenso schwer
festzumachen wie die Identität des Erzählenden. Erzählen
als Überlebenskunst?
Kritik
¯So kalt ums Herz, so heiß ums Herz ist es mir beim Bücherlesen schon lang nicht mehr geworden.® Süddeutsche Zeitung
Leseprobe
Ich bin in der kleinen Stadt meiner Kindheit - im Gefängnis.
Es ist kein richtiges Gefängnis, es ist eine Zelle im Gebäude
der Ortspolizei, einem Haus, das wie alle anderen Häuser
der Stadt einstöckig ist.
Meine Zelle muß früher eine Waschküche gewesen
sein, Tür und Fenster gehen auf den Hof hinaus. Innen vor
dem Fenster hat man später Gitterstäbe angebracht, damit
man nicht an die Scheibe herankommt und sie zerschlagen kann.
Eine Waschgelegenheit mit Klosett ist durch einen Vorhang abgetrennt.
An einer der Wände stehen, am Boden festgeschraubt, ein
Tisch und vier Stühle, an der gegenüberliegenden Wand
sind vier Betten befestigt, die man herunterklappen kann. Drei
davon sind heruntergeklappt.
Ich bin allein in der Zelle. Es gibt nur wenige Verbrecher in
dieser Stadt, und wenn es mal einen gibt, bringt man ihn gleich
in die Kreisstadt, zwanzig Kilometer weiter. Ich bin kein Verbrecher.
Ich bin nur hier weil meine Papiere nicht in Ordnung sind, mein
Visum ist abgelaufen. Und ich habe auch Schulden gemacht.
Morgens bringt mir der Wärter das Frühstück, Milch,
Kaffee, Brot. Ich trinke ein paar Schluck Kaffee, dann gehe ich
zum Duschen. Mein Wärter verzehrt den Rest meines Frühstücks
und säubert die Zelle. Die Tür bleibt offen, ich kann
in den Hof gehen, wenn ich Lust dazu habe. Es ist ein Hof mit
hohen Mauern ringsum, die mit Efeu und wildem Wein bewachsen sind.
Hinter einer der Mauern, links von meiner Zelle, wenn man herauskommt,
liegt ein Schulhof. Ich höre die Kinder in den Pausen lachen',
spielen und schreien. Die Schule war schon da, ., als ich noch
ein Kind war, ich erinnere mich daran, obwohl ich nie in diese
Schule gegangen bin, aber das Gefängnis war damals woanders,
daran erinnere ich mich auch, denn da war ich einmal drin.
Jeden Morgen und jeden Abend gehe ich eine Stunde im Hof herum.
Das habe ich mir in meinen Kindertagen angewöhnt, als ich
mit fünf Jahren wieder gehen lernen mußte.
Mein Wärter ärgert sich darüber, denn dann sage
ich kein Wort und höre auch keine Fragen.
Mit den Augen starr auf die Erde blickend und den Händen
hinteren Rücken, so mache ich meine Runden', dicht an den
Mauern entlang. Der Boden ist gepflastert, aber zwischen den
Steinen sprießt Gras.
Der Hof ist beinahe quadratisch. Fünfzehn Schritt lang,
dreizehn breit. Angenommen, ich mache Schritte von einem Meter
Länge, dann hätte der Hof eine Fläche von einhundertfünfundneunzig
Quadratmetern. Aber meine Schritte sind bestimmt kürzer.
Autoreninfo
Agota Kristof
geboren 1935 in Csikvánd/Ungarn, lebt seit
1956 in der französischen Schweiz. Dort arbeitete sie anfangs
in einer Fabrik und lernte Französisch - und schrieb dann
Hörspiele, Stücke, Gedichte und Romane in der Sprache
ihrer Wahlheimat. Die ersten beiden Bände ihrer Trilogie,
»Das große Heft« und »Der Beweis«, liegen
ebenfalls auf deutsch vor.