Produktbeschreibung
In einem allein stehenden Haus inmitten eines Abbruchviertels lebt der
13-jährige Ich-Erzähler Jack mit seinen Eltern und drei Geschwistern. Die
Familie ist isoliert von anderen Menschen; der Kontakt zu Verwandten ist
längst abgebrochen, die Schulkameraden der Kinder werden nicht eingeladen.
Bei dem Versuch, den häuslichen Garten zu zementieren, überanstrengt sich
der Vater und stirbt an einem Herzinfarkt. Jack, den vor allem seine gerade
erwachende Sexualität beschäftigt, ist von dem Wunsch getrieben, eine engere
Beziehung zu seiner Mutter aufzubauen, scheitert jedoch an seiner eigenen
Indifferenz. An seinem 15. Geburtstag stirbt die Mutter nach einer längeren
Krankheit, so dass die vier Kinder fortan auf sich allein gestellt sind.
Aus Angst, von den Behörden getrennt zu werden, verschweigen sie ihre Situation
und zementieren die Leiche in einer Kiste im Keller ein. Da gerade die
Zeit der Sommerferien begonnen hat, reduzieren sich die ohnehin spärlichen
Außenkontakte auf ein Minimun. Doch nicht nur die Gruppe kapselt sich immer
mehr von ihrer Umgebung ab, auch jeder Einzelne ist in zunehmendem Maße
der Isolation ausgesetzt. Die Beziehungen zwischen den Geschwistern sind
zunächst ungeordnet und wechselhaft. Zwischen Jack und seiner zwei Jahre
älteren Schwester Julie, zu der er sich sexuell hingezogen fühlt, kommt
es zu starken Spannungen, da jeder der beiden die Position des Familienoberhauptes
für sich beansprucht. Die jüngere Schwester Sue zieht sich mit Büchern
in ihr Zimmer zurück und der sechsjährige Tom fällt nach und nach ins Säuglingsstadium
zurück. Das Haus und der Garten sind dem Verfall preisgegeben. Nach einiger
Zeit beginnen die Kinder jedoch, den Haushalt zu ordnen und es bilden sich
Ansätze sozialer Strukturen heraus. Problematisch bleibt für die Kinder
jedoch vor allem die Auseinandersetzung mit ihrer geschlechtlichen Identität.
Neben der inzestuösen Liebe Jacks zu seiner Schwester konkretisiert sich
das Thema außerdem in der aufbrechenden Konkurrenz zwischen Julie und Sue
sowie in dem Wunsch Toms, sich als Mädchen zu verkleiden. In die isolierte
Gemeinschaft bricht die Außenwelt ein, als Julie ihren neuen Freund Derek
ins Haus bringt. Dieser bemerkt den inzwischen penetranten Leichengeruch
- der Zementblock ist gerissen - und kommt hinter das Geheimnis der Kinder.
Als er Jack und Julie beim Vollzug des Inzests ertappt, alarmiert er die
Polizei. Mit einem an der Psychoanalyse von Sigmund R Freud geschulten
Blick beschreibt McEwan die Entwicklung der isolierten Kindergemeinschaft.
Sein distanziert-sachlicher Stil verleiht selbst Geschehnissen wie dem
Einzementieren der Mutter eine Normalität und Alltäglichkeit, die das Grauen
erst recht hervorhebt. Auch die inzestuöse Beziehung der beiden älteren
Geschwister wird durchaus sachlich geschildert. Tabubrüche dieser Art sind
bei McEwan jedoch keineswegs Selbstzweck, sondern dienen der Aufdeckung
des Verborgenen, Unbewussten.
Kritik
¯Ein so hochliterarischer wie engagierter Zeitdiagnostiker.® Barbara Villiger Heilig / Neue Zürcher Zeitung Neue Zürcher Zeitung
Leseprobe
Ich habe meinen Vater nicht umgebracht, aber manchmal kam es mir
vor, als hätte ich ihm nachgeholfen. Und bis auf die Tatsache,
daß sein Tod zeitlich mit einem Meilenstein in meiner eigenen
körperlichen Entwicklung zusammenfiel, schien er unbedeutend,
verglichen mit dem, was dann kam. Meine Schwestern und ich sprachen
über ihn in der Woche, nachdem er gestorben war, und natürlich
weinte Sue, als ihn die Sanitäter in eine hellrote Decke
einpackten und forttrugen. Er war ein schwächlicher, jähzorniger,
verbohrter Mann, gelblich an den Händen und im Gesicht.
Ich führe die kleine Geschichte von seinem Tod nur an, weil
sie erklärt wieso meine Schwestern und ich auf einmal eine
so große Menge Zement zur Verfügung hatten.
Autoreninfo
Ian McEwan, geboren 1948 in Aldershot (Hampshire), lebt bei London. 1998 erhielt er den Booker-Preis und 1999 den Shakespeare-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung. Seit seinem Welterfolg 'Abbitte' ist jeder seiner Romane ein Bestseller, viele sind verfilmt, zuletzt 'Am Strand' (mit Saoirse Ronan) und 'Kindeswohl' (mit Emma Thompson). Ian McEwan ist Mitglied der Royal Society of Literature, der Royal Society of Arts, der American Academy of Arts and Sciences und Träger der Goethe-Medaille.