Produktbeschreibung
Während seiner ersten Frankreichreise (1893) begegnete Heinrich Mann dem Thema seines Lebens, das ihn vier Jahrzehnte beschäftigen sollte: die Lebensgeschichte von Henri Bourbon, König von Navarra, der - freilich um den Preis mehrfachen Konfessionswechsels - unter dem Herrschernamen Heinrich IV. zum großen Einiger Frankreichs wurde. Nachhaltiger noch als mit dem von ihm erlassenen Toleranzedikt von Nantes, mit dem er einen Ausgleich zwischen den Hugenotten und den Katholiken seines Reiches zu schaffen suchte, ging er mit der Sentenz in die Geschichtsbücher ein: »Paris ist eine Messe wert«. Menschlichkeit ging ihm vor Doktrin. Heinrich IV. (1553-1610) war eingebunden in die frühe Phase der Aufklärung als Folge der kalvinistischen Reformation, ihm stand der Sinn wenig nach Gottesgnadentum, ihm ging es vielmehr darum, Frankreich zum »Vorposten der menschlichen Freiheiten« zu gestalten. Und jeder Franzose sollte es sich leisten können, am Sonntag »ein Huhn im Topf« zu haben. Zwar beginnt Heinrich Mann die Niederschrift dieses mehr als 1500 Seiten umfassenden, zweibändigen Romans noch vor seiner Flucht aus Berlin - die Heraufkunft der Nazis war bereits zu ahnen -, aber der überwiegende Teil dieses riesigen Werks entsteht im französischen Exil. In seinen Henri-Quatre-Romanen bedient sich Heinrich Mann des historischen Romans als Mittel der politischen Kritik. Die feudalistisch-reaktionäre, katholische »Liga«, die mit Gewalt und Terror ihre Macht zu erhalten sucht, steht metaphorisch für die Nazis; einzelne Figuren im Roman tragen Züge von Hitler und Goebbels.
Zusammenfassung
»Die Deutschen, von 1933 bis 1945 geistig eingesperrt, lasen
viele interessante Autoren der Gegenwart zehn oder zwanzig Jahre
später als die freien Völker. Zuweilen ließen
sie das Beste, insbesondere der eigenen deutschen Literatur, unberührt
stehen. Ein Meisterwerk eines der großen deutschen Romanciers,
der »Henri Quatre« von Heinrich Mann, erscheint in der
Bundesrepublik erst 1959. Es ist ein historischer Roman und zeigt
den Weg eines Menschen bis zur Vollendung. Das moralische Thema
des Buches ist der Zwang des Vernünftigen zur Unaufrichtigkeit,
der Zwang des Guten zur geduldigen Verstellung. Es ist die alte
Situation des Hamlet: Vernunft muß Wahnsinn spielen. Um
die gestörte Welt wiederherzustellen, muß der Vernünftig-Edle
sich verleugnen, dann sich verderben.
Den Unbestand des Lebens malt Heinrich Mann in tausend schillernden
Bildern. Voll Verschwenderlaune malt er, um die schwankende, brüchige
und im großen doch konstante Tendenz eines Charakters aufzuzeigen,
das ganze Leben eines Menschen mit dem Anspruch, dabei die Geschichte
einer Epoche zu erzählen, eine Weltbeschreibung poetisch-moralischer
Natur zu liefern. Fast durchweg ist das epische Ziel hier die
Erläuterung der Welt. Und die epische Form ist eine Art von
konstantem Weltgericht, ein romanciertes Sittenrichtertum. Sozialismus
und Freiheit sieht Heinrich Mann zusammen im Bild der Menschenwürde.
Sein Held ist nur ein Überläufer, eine zweifelhafte
Figur. Aber der Dichter sieht näher hin und zeigt uns die
Größe eines, der durch den Kampf ein Moralist wird.
Es ist ein Roman voller Poesie, einer denkenden Poesie.
Hermann
Kesten
Leseprobe
Das Kriegsglück
Das Gerücht
Der König hat gesiegt. Das eine Mal hat er den Feind zurückgeworfen
und gedemütigt. Er hat die Übermacht weder vernichtet
noch entscheidend aufgehalten. Nach wie vor ist sein Königreich
in Lebensgefahr, gehört auch noch gar nicht ihm. Es gehört
bis jetzt der Liga, da die Zuchtlosigkeit der vorhandenen Menschen,
ihr Widerstand gegen die Ordnung und Vemunft seit den Jahrzehnten
der inneren Kämpfe schon bis zum Wahnsinn gediehen sind.
Oder, noch schlimmer als der offene Wahnsinn, die platte Gewöhnung
an den vernunft- und zuchtlosen Zustand hat die Menschen ergriffen,
die traurige Ergebung in ihre Schande hat sich bei ihnen festgesetzt.
Der einmalige Sieg des Königs kann das keineswegs ändern.
Ein vereiteltes vereinzeltes Gelingen - wieviel ist daran Zufall
und wieviel ist Bestimmung? Es überzeugt noch keine Mehrheit
von ihrem Unrecht. Wie denn »Dieser Protestant aus dem Süden
wäre kein Räuberhauptmann, er wäre der wahrhafte
König! Was müßten dann alle großen Führer
der Liga sein: sie, von denen jeder eine Provinz beherrscht oder
einen Gau leitet, und zwar mit wirklicher Gegenwart und voller
Gewalt. Der König gebietet beinahe nur dort, wo sein Heer
steht. Der König hat für sich den Gedanken des Königreiches:
soviel erkennen manche, und nicht ohne Unruhe oder Wehmut...
Autoreninfo
Heinrich Mann, 1871 in Lübeck geboren, begann nach dem Abgang vom Gymnasium eine Buchhandelslehre. 1891-1892 volontierte er im S. Fischer Verlag, Berlin. Gleichzeitig war er Gasthörer an der Universität. Tätig als freier Schriftsteller veröffentlichte er Romane, Novellen, Essays, Schauspiele. 1933 emigrierte er nach Frankreich, später in die USA. Heinrich Mann starb 1950 in Santa Monica/Kalifornien.