Produktbeschreibung
Zwischen Dieben, die Götterbilder stehlen, Beamten, die gegen klingende Münze einsperren und auch wieder laufen lassen, und gefährlichen Dschunkenpiraten spielt diese humorvolle wie auch spannende Erzählung. Karl May zeichnet in ihr ein farbenprächtiges Bild vom damaligen China. Die vorliegende Erzählung spielt in der ersten Hälfte der 70er-Jahre des 19. Jahrhunderts. Der Titel ist als ebook erhältlich!
Leseprobe
Erstes Kapitel
KONG-KHEOU, DAS EHRENWORT
Mein lieber Leser, hast du vielleicht den blauroten Methusalem
gekannt? Ganz gewiß, wenn du nämlich in der betreffenden
Universitätsstadt zu Hause bist oder jemals als Gast dort
geweilt hast. Er war das lebendige Wahrzeichen der dortigen Alma
mater. Niemand konnte an ihm vorübersehen, und wer ihn einmal
erblickt hatte, dem war es unmöglich, ihn wieder zu vergessen.
Er wohnte seit wer weiß wie vielen Semestern im Pfeffergäßchen
und studierte - ja, wer konnte das wohl sagen! Wem es eingefallen
wäre, ihn danach zu fragen, dem hätte er mit der Klinge
geantwortet, und er war als Schläger bekannt und gefürchtet.
Zur ganz bestimmten Minute trat er aus dem Hause, in dessen Parterre
der chinesische Teehändler Ye-kin-li einen prächtig
eingerichteten Verkaufsladen besaß, schritt, gefolgt von
seinem Wichsier, die Straße entlang, bog rechts in die Humboldtstraße
ein und verschwand dort in der Türe des "Geldbriefträgers
von Ninive". So nämlich nannten die Studenten dieses
vielbesuchte Bierlokal. Genau zu einer ebenso bestimmten Minute
verließ er dasselbe, um nach seiner Wohnung zurückzukehren.
Das geschah täglich dreimal: vormittags, nachmittags und
abends, und zwar mit solcher Regelmäßigkeit, daß
die Anwohner der Humboldtstraße und des Pfeffergäßchens
es sich angewöhnt hatten, ihre stehengebliebenen oder falsch
gehenden Uhren nach ihm zu richten.
Eines Tages aber warteten sie vergeblich auf sein Erscheinen.
Man wunderte sich; man schüttelte den Kopf. Als er auch
am nächsten Tag nicht erschien, begann man, bedenklich zu
werden. Am dritten Tag beschloß man, Frau Stein, seine
Wirtin, zu interviewen, und erfuhr auf diesem Weg, daß er
die Miete auf zwei Jahre vorausbezahlt habe.
Autoreninfo
Karl May (1842-1912) war das fünfte von 14 Kindern einer armen Weberfamilie aus Ernstthal/Sachsen. Vom Studium am Lehrerseminar wurde er zunächst ausgeschlossen, nachdem er Kerzenreste unterschlagen hatte. Später konnte er die Ausbildung fortsetzen, arbeitete nur 14 Tage in seinem Beruf, bevor er wieder des Diebstahls bezichtigt und von der Liste der Kandidaten gestrichen wurde. Wegen Diebstahls, Betrugs und Hochstapelei wurde er in den Jahren darauf immer wieder verhaftet und monatelang festgesetzt. Die Jahre zwischen 1870 und 1874 verbrachte er im Zuchthaus Waldheim. Erst viele Jahre nach dem Erscheinen des akribisch recherchierten Orientzyklus reiste Karl May tatsächlich in den Orient. Karl May war lange Zeit einer der meistgelesenen deutschen Schriftsteller. Er starb1912 in Radebeul.