Produktbeschreibung
"Literarisch verbindet der Titan ganz heterogene Formen wie Schauer- und Abenteuerroman; Staatsroman, und vor allem den Bildungsroman, mit deren Hilfe er schließlich das allseitig ausgebildete bürgerliche Individuum auf den deutsch-kleinstaatlichen Fürstenthron setzt: grandioses Zeugnis und Parodie des Anspruchs der Epoche, die Literatur an die Macht zu bringen."
Zusammenfassung
Johann Paul Friedrich Richters »Kardinal- und Kapitalroman«
erschien in vier Bänden und einem »Komischen Anhang«
von zwei Bänden 1800 bis 1803. Er ist das monumentale und
monströse Außenseiterwerk auf dem Höhepunkt der
Goethezeit, das kritische poetische Stellung zu deren Haupttendenzen
bezieht: dem Klassizismus Weimars und dem frühromantischen
Ästhetizismus, der idealistischen Philosophie und der Französischen
Revolution. Literarisch verbindet der Titan ganz heterogene
Formen wie Schauer- und Abenteuerroman; Staatsroman, und - vor
allem - den Bildungsroman, mit deren Hilfe er schließlich
das allseitig ausgebildete bürgerliche Individuum auf den
deutsch-kleinstaatlichen Fürstenthron setzt: grandioses Zeugnis
und Parodie des Anspruchs der Epoche, die Literatur an die Macht
zu bringen. Jean Paul läßt ihn scheitern in einigen
seiner faszinierendsten Figuren, dem Humoristen Schoppe, dem Gefühlstheatraliker
Roquairol, dem aufklärerischen Satiriker und Luftschiffer
Giannozzo. Er läßt damit auch seine eigene Utopie
der Schreibhandlung scheitern, die sein Schriftstellertum in unserer
Literaturgeschichte auszeichnet.
Leseprobe
Aphrodite, Aglaja, Euphrosyne und Thalia sahen einst in das irdische
Helldunkel hernieder und, müde des ewig heitern, aber kalten
Olympos, sehnten sie sich herein unter die Wolken unserer Erde,
wo die Seele mehr liebt, weil sie mehr leidet, und wo sie trüber,
aber wärmer ist. Sie hörten die heiligen Töne
heraufsteigen, mit welchen Polyhymnia unsichtbar die tiefe bange
Erde durchwandelt, um uns zu erquicken und zu erheben; und sie
trauerten, daß ihr Thron so weit abstehe von den Seufzern
der Hülflosen.
Da beschlossen sie, den Erdenschleier zu nehmen und sich einzukleiden
in unsere Gestalt. Sie gingen von dem Olympos herab; Amor und
Amorinen und kleine Genien flogen ihnen spielend nach, und unsere
Nachtigallen flatterten ihnen aus dem Mai entgegen.
- Aber als sie die ersten Blumen der Erde berührten und nur
Strahlen und keine Schatten warfen: so hob die ernste Königin
der Götter und Menschen, das Schicksal, den ewigen Zepter
auf und sagte: der Unsterbliche wird sterblich auf der Erde, und
jeder Geist wird ein Mensch! -
Da wurden sie Menschen und Schwestern und nannten sich Luise,
Charlotte, Therese, Friederike; die Genien und Amorinen verwandelten
sich in ihre Kinder und flogen ihnen in die Mutterarme, und die
mütterlichen und schwesterlichen Herzen schlugen voll neuer
Liebe in einer großen Umarmung. Und als die weiße
Fahne des blühenden Frühlings flatterte und menschlichere
Thronen vor ihnen standen - und als sie, von der Liebe, der Harmonika
des Lebens, selig-erweicht, sich und die glücklichen Kinder
anblickten und verstummten vor Lieb' und Seligkeit: so schwebte
unsichtbar Polyhymnia vorüber und erkannte sie und gab ihnen
Töne, womit das Herz Lieb' und Freude sagt und gibt... «
Autoreninfo
Jean Paul (Johann Paul Friedrich Richter) wurde am 21. März 1763 im oberfränkischen Wunsiedel im Fichtelgebirge geboren und starb am 14. November 1825 in Bayreuth.
1781-84 Studium der Theologie, später der Philosophie in Leipzig. Lebte 1784-86 bei seiner Mutter in Hof, dann als Hauslehrer auf Schloß Töpen bei Hof. Gründete 1790 eine Elementarschule in Schwarzenbach, die er bis 1794 leitete. 1797 Übersiedlung nach Leipzig. Lebte 1798-1800 auf Einladung der Charlotte von Kalb in Weimar. Freundschaft mit Johann Gottfried Herder. 1799 Ernennung zum Herzoglichen Legationsrat. 1800 Übersiedlung nach Berlin. 1801 Heirat mit Karoline Mayer, mit der er bis 1803 in Meiningen lebte. Ab 1804 ständiger Wohnort in Bayreuth. 1824 Erblindung.