Produktbeschreibung
»Wie habe ich dieses Manuskript begonnen, in der festen Meinung,
von einer Erinnerung zur andern, wie aus dem Terminkalender heraus,
nüchtern, wahr und ehrlich farblos es fortzusetzen und es
zu einem mehr oder weniger verständig-logischen Abschluß
zu bringen! Und was ist nun daraus geworden, was wird durch Tag
und Nacht, wie ich die Feder von neuem wieder aufnehme, weiterhin
daraus werden?«
Leseprobe
Die wir dem Schatten Wesen sonst verliehen, Sehn Wesen sich als
Schatten sich verziehn. Peter Schlemihl
An einem Novemberabend bekam ich (der Leutnant der Reserve liegt
als längst abgetan bei den Papieren des deutschen Heerbanns),
Oberregierungsrat Dr. jur. K. Krumhardt, unter meinen übrigen
Postsachen folgenden Brief in einer schönen, festen Handschrift,
von der man es kaum für möglich halten sollte, daß
sie einem Weibe zugehöre.
»Lieber Karl! Velten läßt Dich noch einmal grüßen.
Er ist nun tot, und wir haben beide unsern Willen bekommen. -
Er ist allein geblieben bis zuletzt, mit sich selber allein. Daß
ich mich als seine Erbnehmerin aufgeworfen habe, kann er freilich
nicht hindern; das liegt in meinem Willen, und aus dein heraus
schreibe ich Dir heute und gebe Dir die Nachricht von seinem Tode
und seinem Begräbnis. Dieser Brief gehört, meines Erachtens,
zu der in seinen en Angelegenheiten (wie lächerlich dieses
Wort hier klingt!) noch nötigen Korrespondenz. Seinen Ton
entschuldige. Es klingt hohl in dem Raume, in welchem ich schreibe:
er hat die Leere um sich gelassen, und wie ein Kind nenne ich
Dich, Karl, noch einmal Du und bei Deinem Taufnamen; es soll kein
Griff in die Zukunft sein; es ist nichts als ein augenblickliches
letztes Anklammern an etwas, was vor langen Jahren schön,
lustig, freudenvoll und hoffnungsreich gewesen ist. Auch
Deine liebe Gattin wird den Ton verzeihen, wenn sie auch gottlob
nichts weiß von der Angst, die wir Weiber haben können
in einem so leeren Raume. Ihre Angst im Dunkeln wird sie ja wohl
auch schon gehabt haben in ihrem Leben.
Helene Trotzendorff als ein sich fürchtendes Kind? Nein,
doch nicht! - So ist es nicht! - ...
Autoreninfo
Wilhelm Raabe, geboren am 8.9.1831 in Eschershausen bei Braunschweig, begann zunächst eine Buchhändlerlehre und studierte später in Berlin. Als Schriftsteller lebte er zuletzt in Braunschweig, wo er am 15.11.1910 starb. Raabe zählt zu den wichtigsten Vertretern des poetischen Realismus in Deutschland und galt als scharfer Kritiker seiner Zeit. Er schrieb über 86 Romane, Erzählungen und Novellen, darunter seinen Erfolgsroman "Die Chronik der Sperlingsgasse" (1856). Erst in seinen letzten Lebensjahren widmete er sich großen Reisen und stellte seine schriftstellerische Tätigkeit ein.