Produktbeschreibung
»Ich habe dieser Tage ein kleines Buch gelesen... Florentin
von Dorothee Veith, nachheriger Schlegel... es ist das einzige
aus dem Kreise der Romantiker, was man, ohne sich lächerlich
zu machen, neben Wilhelm Meister erwähnen darf. Es ist ein
außerordentlich klarer Sinn für alle menschlichen Verhältnisse
darin, die natürlichen wie die gesellschaftlichen, ein feiner
psychologischer Instinkt und eine frische gegenständliche
Darstellung.«
Theodor Storm
Leseprobe
Erstes Kapitel
Es war an einem der ersten schönen Frühlingsmorgen.
Allenthalben, auf Feldern, auf Wiesen und im Wald, waren noch
Spuren des vergangnen Winters sichtbar und der Härte, womit
er lange gewütet: noch einmal hatte er mächtig im Sturm
seine Schwingen geschüttelt, aber es war zum letztenmal.
Die Wolken waren vertrieben vom Sturm, die Sonne durchgebrochen,
und eine laue milde Wärme durchströmte die Luft. Junge
Grasspitzen drängten sich hervor, Veilchen und süße
Schlüsselblumen erhoben furchtsam ihre Köpfchen, die
Erde war der Fesseln entledigt und feierte ihren Vermählungstag.
Mutig trabte ein Reisender den Hügel herauf. Vertieft im
Genuß der ihn umgebenden Herrlichkeit und in Phantasien,
die ihn bald vor- bald rückwärts rissen, hatte er den
rechten Weg verfehlt, und nun sah er sich auf einmal vor einem
Walde, den er durchreiten mußte, wenn er nicht gerade wieder
umkehren und zurückreiten wollte; ein andrer Weg war nicht
zu finden. Er war lange zweifelhaft.
»Jetzt wieder umkehren wäre ein unnützes Stück
Arbeit. Wäre ich etwa umsonst hieher geraten? In diesen
Wald kam ich ungefähr auf eben die Weise wie ins Leben...
wahrscheinlich habe ich im ganzen auch des Weges verfehlt. Und
wie? wenn mir auch hier wie dort die Rückkehr unmöglich
wäre?... Sei meine Reise wie mein Leben, und wie die ganze
Natur, unaufhaltsam vorwärts!... Was mir nur begegnen wird
auf dieser Lebensreise, oder diesem Reiseleben?... Ich rühme
mich ein freier Mensch zu sein, und dieser Sonnenschein, dieses
laue Umfangen, die jungen Knospen, das Erwarten der Dinge, die
mich umgeben, ist schuld, daß auch ich erwarte... und was?...
War mir doch mit allem bunten Spielzeug schon längst Hoffnung
und Erwartung entflohen!... Närrisch genug wäre es,
wenn mich dieser Weg auch endlich an den rechten Ort führte,
wie alles Leben zum unvermeidlichen Ziel.«
Autoreninfo
Dorothea Schlegel (geb. Brendel Mendelssohn), 24. 10. 1764 Berlin - 3. 8. 1839 Frankfurt a. M. Sch. war die zweite Tochter Moses Mendelssohns. Sie wurde traditionell jüdisch erzogen und 1783 mit dem Bankier Simon Veit verheiratet. In Berliner Salons traf sie 1797 F. Schlegel; sie verließ ihren Mann und wurde 1799 geschieden. Im selben Jahr zog sie nach Jena, wo sie mit A. W., Caroline und F. Schlegel zusammen wohnte. 1802 ging sie mit F. Schlegel nach Paris; hier ließ sie sich ev. taufen und heiratete ihn. 1804 zogen sie nach Köln, konvertierten 1808 zum Katholizismus und erneuerten ihre Ehe. 1808 ließen sie sich in Wien nieder, 1816 in Frankfurt a. M.; 1818-20 besuchte Sch. ihre Söhne (aus erster Ehe) in Rom und lebte dann bis zum Tod ihres Mannes in Wien, anschließend bei ihrem Sohn Philipp Veit in Frankfurt.