Produktbeschreibung
Das Buch berichtet von der vier Tage und fünf Nächte dauernden Fahrt gefangener
Widerstandskämpfer in einem überfüllten Viehwaggon. 120 Männer drängen
sich in diesem Wagen, ohne Essen und Trinken, mit kaum ausreichender Luftversorgung.
Die Fahrt in einem schneidend kalten Winter geht von Compi¿gne in das Konzentrationslager
Buchenwald. Im Lauf des Buchs wird der Autor anmerken, dass die Deutschen
in die gleichen Waggons 200 Juden pferchten. Der Bericht endet mit dem
Erreichen des Lagers. Der Autor ist 20, als er diese Reise antreten muss;
Sempr£ns engster Gefährte während der >>Reise<< ist ein ein 16-Jähriger,
der nur der >>Junge aus Semur<< genannt wird. Schon auf den ersten Seiten
setzen die Rückblenden ein aus verschiedenen Perspektiven, einmal aus der
des eingepferchten jungen Mannes, bald schon aus der des Schreibers. So
denkt der Erzähler während der Zugfahrt durch das Moseltal an den Geografieunterricht
am Gymnasium. Etwas später fällt ihm ein, dass er 1945, auf der Rückkehr
aus Buchenwald, in einem Hotel in Eisenach, in dem eine Heimkehrerzentrale
eingerichtet worden war, zum ersten Mal in seinem Leben Moselwein trank.
Die Erinnerungen wuchern häufig, durchdringen und überlagern einander.
Doch immer wieder kehrt Sempr£n zurück zu der qualvollen Situation der
Menschen im Viehwaggon, die kaum Platz haben zum Stehen. Der gesunde Menschenverstand
des Jungen, seine burschikose Art führen ihn in die Realität zurück, bestärken
ihn. Voller Kraft scheint dieser Junge und widerstandsfähig. Doch schon
bald beginnt der Autor anzudeuten, dass der Junge sterben wird, noch ehe
sie das Lager erreichen. Mit seinen Erinnerungen versucht er, die Leiden
der Fahrt abzumildern. Nach und nach erfährt der Leser aus dem Vor- und
Zurückschweifen der Gedanken die Geschichte der Widerstandsgruppe, ihrer
Zerschlagung und Festnahme. Am Ende des Buchs erfährt der Leser vom überraschenden
Tod des Jungen; ebenfalls deutet der Erzähler bereits das Grauen des Lagers
an. Die Sprache des Berichts ist nüchtern und kühl, manchmal schneidend
kalt. Häufige Wiederholungen geben ihr ein insistierendes Drängen.
Zusammenfassung
Die große Reise ist eine fünftägige Fahrt in einem
Eisenbahnwaggon: 119 Häftlinge werden aus Frankreich in das
Konzentrationslager Buchenwald transportiert. Jorge Semprun schildert
seine persönlichen Erlebnisse aus dem Jahr 1944, niedergeschrieben
16 Jahre danach. Semprun nimmt die tagelange Eisenbahnfahrt -
ohne Essen, im Stehen - zum Anlaß, die vielfältigen
Ereignisse vor und nach Buchenwald in das Geschehen einzuflechten:
den Spanischen Bürgerkrieg, die Flucht nach Frankreich, Schule
und Universität, Résistance, Verhaftung und Abtransport,
später die Befreiung, die Rückkehr nach Frankreich,
die Weigerung, sich wie ein »ancien combattant« zu verhalten,
den Versuch der Vergangenheitsbewältigung durch bewußtes
Schweigen, den unvermittelten Einbruch von Erlittenem in die Gegenwart.
Die große Reise ist die Bilanz einer Epoche, eine Diagnose
des Schreckens, ein Roman, dem es gelungen ist, das unsagbare
Elend eines Konzentrationslagers in Worte zu fassen.
Leseprobe
Da ist diese zusammengepferchte Masse von Leibern im Wagen, dieser
stechende Schmerz im rechten Knie. Tage, Nächte. Ich raffe
mich auf und versuche, die Tage und Nächte zu zählen.
Vielleicht hilft mir das, mich ein wenig zurechtzufinden. Vier
Tage, fünf Nächte. Aber nein, ich muß mich verzählt
haben, oder es sind Tage darunter, die zu Nächten geworden
sind. Es bleiben zu viele Nächte, Nächte, die ich nicht
los werde. Es war Morgen, soviel ist sicher, ein Morgen, als
diese Reise begann. Den ganzen Tag lang. Dann eine Nacht. Ich
strecke meinen Daumen im Halbdunkel des Wagens aus. Den Daumen
für jene Nacht. Dann der nächste Tag. Wir waren noch
in Frankreich, und der Zug kam kaum voran. Manchmal hörten
wir Stimmen von Eisenbahnern zwischen dem Stiefelknirschen der
Wachtposten. Vergiß diesen Tag, er war voller Verzweiflung.
Die nächste Nacht. Ich strecke einen zweiten Finger im
Halbdunkel aus. Der dritte Tag. Wieder eine Nacht. Drei Finger
meiner linken Hand. Und der heutige Tag. Vier Tage also und
drei Nächte. Nun gehen wir der vierten Nacht entgegen, dem
fünften Tag. Der fünften Nacht, dem sechsten Tag.
Aber ist es überhaupt noch richtig zu sagen, wir gingen?
Wir sind ja unbeweglich, ineinandergekeilt, die Nacht vielmehr
ist es, die über uns reglose künftige Leichen hereinbricht.
Ich muß schallend lachen: das gibt bestimmt noch die Nacht
der Bulgaren.
«Streng dich nicht so an, sagt der Junge.
Im Trubel des Einsteigens in Compiègne, während Schreie
und Schläge auf uns niederprasselten, war er neben mich geraten.
Man könnte meinen, er habe zeitlebens nichts anderes getan,
als zusammen mit einhundertneunzehn anderen in einem verriegelten
Güterwagen zu reisen. «Das Fenster», hatte er nur
gesagt und uns mit drei großen Schritten und drei Ellbogenstößen
den Weg zu einer der mit Stacheldraht versperrten Öffnungen
gebahnt. «Das Wichtigste ist, daß man Luft kriegt,
daß man atmen kann, verstehst du?»
«Wozu bloß das Lachen?» sagt der Junge jetzt.
«Das Strengt dich nur unnütz an.
«Ich dachte an die nächste Nacht», entgegne ich.
«Blödsinn», sagt der Kamerad, «denk lieber
an die vorigen.»
«Du bist die Vernunft in Person.»
«Quatsch», sagt er.
Vier Tage und drei Nächte lang stehen wir schon ineinandergekeilt,
sein Ellbogen in meine Rippen, mein Ellbogen in seinen Magen gepreßt.
Damit er beide Füße richtig auf den Boden des Wagens
stellen kann, bin ich gezwungen, ein Bein hochzuziehen. Wenn
ich meinerseits Platz haben will, damit sich meine Wadenmuskeln
ein wenig entkrampfen, hält er ein Bein in die Höhe.
So gewinnen wir ein paar Zentimeter und ruhen uns abwechselnd
aus.
Autoreninfo
Jorge Semprun wurde am 10. Dezember 1923 in Madrid als eines von sieben Kindern des linksliberalen Juraprofessors Jos Maria Semprun geboren. Seine früh verstorbene Mutter, Susana Maura, war die Schwester des ersten Innenministers der spanischen Republik, Miguel Maura. Aufgrund des spanischen Bürgerkriegs zog Jos Maria Semprun im September 1936 mit seiner zweiten Frau und den Kindern nach Paris. Dort, an der Sorbonne, studierte Jorge Semprun nach der Rückkehr von einem längeren Aufenthalt in Den Haag Philosophie und schloss sich 1941 unter dem Decknamen "G rard" der kommunistischen R sistance an ("Francs-Tireurs et Partisans"). 1943 wurde Jorge Seprun von der Gestapo festgenommen und ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Nach der Befreiung am 12. April 1945 wählte er erneut Paris als seinen Wohnort. Als Mitglied der spanischen Exil-KP begann er 1953, den Widerstand gegen das Franco-Regime zu koordinieren, und von 1957 bis 1962 wirkte er am Aufbau einer kommunistischen Untergru