Produktbeschreibung
Keine andere Heiligenlegende im 20. Jahrhundert hat so viel Resonanz gefunden wie Werfels Hohelied auf Bernadette Soubirous, dieses kleine Mädchen vom Lande, dem, wie es hier heißt, die »Dame« erscheint. Werfel zeichnet das Wunder nach, aber mit gleicher Intensität auch den weltlichen wie den kirchlichen Zweifel an einem solchen Geschehen, bis die Kirche es schließlich anerkennt und Bernadette 1933 heiligspricht. »Ich habe es gewagt, das Lied von Bernadette zu singen, obwohl ich kein Katholik bin, sondern Jude. Den Mut zu diesem Unternehmen gab mir ein weit älteres und viel unbewußteres Gelübde. Schon in den Tagen, da ich meine ersten Verse schrieb, hatte ich mir zugeschworen, immer und überall durch meine Schriften zu verherrlichen das göttliche Geheimnis und die menschliche Heiligkeit - des Zeitalters ungeachtet, das sich mit Spott, Ingrimm und Gleichgültigkeit abkehrt von diesen letzten Werten unseres Lebens.« Franz Werfel, Los Angeles, im Mai 1941
Zusammenfassung
Keine andere Heiligenlegende im 20. Jahrhundert hat so viel Resonanz
gefunden wie Werfels Hohelied auf Bernadette Soubirous, dieses
kleine Mädchen vom Lande, dem, wie es hier heißt, die
»Dame« erscheint. Werfel zeichnet das Wunder nach,
aber mit gleicher Intensität auch den weltlichen wie den
kirchlichen Zweifel an einem solchen Geschehen, bis die Kirche
es schließlich anerkennt und Bernadette 1933 heiligspricht.
»Ich habe es gewagt, das Lied von Bernadette zu singen, obwohl
ich kein Katholik bin, sondern Jude. Den Mut zu diesem Unternehmen
gab mir ein weit älteres und viel unbewußteres Gelübde.
Schon in den Tagen, da ich meine ersten Verse schrieb, hatte
ich mir zugeschworen, immer und überall durch meine Schriften
zu verherrlichen das göttliche Geheimnis und die menschliche,
Heiligkeit - des Zeitalters ungeachtet, das sich mit Spott, Ingrimm
und Gleichgültigkeit abkehrt von diesen letzten Werten unseres
Lebens. «
Franz Werfel, Los Angeles, im Mai 1941
Leseprobe
Im Cachot
François Soubirous erhebt sich in der Finsternis. Es ist
Punkt sechs. Seine silberne Uhr, Hochzeitsgeschenk der klugen
Schwägerin Bernarde Casterot, besitzt er längst nicht
mehr. Die Quittung der städtischen Pfandleihanstalt über
sie und über einige andere magere Schätze ist bereits
seit vorigem Herbste verfallen. Soubirous weiß, es ist
Punkt sechs, obwohl die Glokken der Pfarrkirche von Saint Pierre
noch nicht zur Frühmesse geläutet haben. Arme Leute
haben die Zeit im Gefühl. Sie wissen auch ohne Zifferblatt
und Glockenton, was die Uhr geschlagen hat. Arme Leute haben
immer Angst, zu spät zu kommen.
Der Mann tastet nach seinen Holzpantinen, behält sie aber
in der Hand, um keinen Lärm zu machen. Bloßfüßig
steht er auf dem eiskalten Steinboden und lauscht den vielfältigen
Atemzügen seiner schlafenden Familie, einer sonderbaren Musik,
die ihm das Herz bedrängt. Sechs Menschen teilen den Raum.
Er und Louise haben immerhin ihr gutes Hochzeitsbett behalten,
diesen Zeugen eines hoffnungsvollen Anbeginns. Die beiden halbwüchsigen
Mädchen aber, Bernadette und Marie, müssen auf einem
sehr harten Lager schlafen. Die zwei jüngsten schließlich,
Jean Marie und Justin, hat die Mutter auf einen Strohsack gebettet,
der tagsüber eingerollt wird.
François Soubirous, der sich hoch immer nicht von seinem
Platz rührt, wirft einen Blick nach dem offenen Herd. Es
ist eigentlich kein rechter Herd, sondern eine grobe Feuerstelle,
die der Steinmetz André Sajou, der Eigentümer dieser
prächtigen Wohnung, für seine Mieter improvisiert hat.
Autoreninfo
Franz Werfel (1890 - 1945) wurde als Kaufmannssohn in Prag geboren. Während seines Studiums befreundete er sich mit Franz Kafka und Max Brod. 1917 lernte er Alma Mahler-Gropius kennen, die er später in Wien heiratete. Die Werfels emigrierten 1938 nach Frankreich, von wo sie zusammen mit Golo Mann zu Fuß über die Pyrenäen nach Spanien flohen. Über Lissabon gelangten sie schließlich in die USA. Franz Werfel starb an einem Herzleiden in Los Angeles.