Produktbeschreibung
Wegen seiner revolutionären Flugschrift "Der Hessische Landbote" von 1834 musste Georg Büchner seine hessische Heimat verlassen und nach Straßburg fliehen. Dort hatte rund sechzig Jahre zuvor Jakob Michael Reinhold Lenz als Hauslehrer gewirkt. Dieser Sturm-und Drang Literat nun inspirierte Büchner im Jahre 1836 zu seiner Novelle "Lenz". Sie blieb allerdings unvollendet und wurde erst im Jahre 1850 posthum veröffentlicht. Längst gehören diese beiden Werke des Vormärz zum klassischen Lesekanon und liegen nun wieder in einer erschwinglichen Ausgabe vor.
Leseprobe
Lenz
Den 20. Januar ging Lenz durchs Gebirg. Die Gipfel und hohen
Bergflächen im Schnee, die Täler hinunter graues Gestein,
grüne Flächen, Felsen und Tannen.
Es war naßkalt; das Wasser rieselte die Felsen hinunter
und sprang über den Weg. Die Äste der Tannen hingen
schwer herab in die feuchte Luft. Am Himmel zogen graue Wolken,
aber alles so dicht - und dann dampfte der Nebel herauf und strich
schwer und feucht durch das Gesträuch, so träg, so plump.
Er ging gleichgültig weiter, es lag ihm nichts am Weg, bald
auf-, bald abwärts. Müdigkeit spürte er keine,
nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem
Kopf gehn konnte.
Anfangs drängte es ihm in der Brust, wenn das Gestein so
wegsprang, der graue Wald sich unter ihm schüttelte und der
Nebel die Formen bald verschlang, bald die gewaltigen Glieder
halb enthüllte; es drängte in ihm, er suchte nach etwas,
wie nach verlornen Träumen, aber er fand nichts. Es war
ihm alles so klein, so nahe, so naß; er hätte die Erde
hinter den Ofen setzen mögen. Er begriff nicht, daß
er so viel Zeit brauchte, um einen Abhang hinunter zu kommen,
einen fernen Punkt zu erreichen; er meinte, er müsse alles
mit ein paar Schritten ausmessen können. Nur manchmal, wenn
der Sturm das Gewölk in die Täler warf und es den Wald
herauf dampfte, und die Stimmen an den Felsen wach wurden, bald
wie fern verhallende Donner und darin gewaltig heranbrausten,
in Tönen, als wollten sie in ihrem wilden Jubel die Erde
besingen, und die Wolken wie wilde, wiehernde Rosse heransprengten,
und der Sonnenschein dazwischen durchging und kam und sein blitzendes
Schwert an den Schneeflächen zog, so daß ein helles,
blendendes Licht über die Gipfel in die Täler schnitt;
oder wenn der Sturm das Gewölk abwärts trieb und einen
lichtblauen See hineinriß und dann der Wind verhallte und
tief unten aus den Schluchten, aus den Wipfeln der Tannen wie
ein Wiegenlied und Glockengeläute heraufsummte, und am tiefen
Blau ein leises Rot hinaufklomm und kleine Wölkchen auf silbernen
Flügeln durchzogen...
Autoreninfo
Georg Büchner (1813 - 1837), der jungverstorbene Sozialrevolutionär, Naturwissenschaftler und geniale Dichter, hat in den wenigen Jahren seines Lebens Großes geschaffen: 'Dantons Tod' erschien zu Lebzeiten (1835), Werke wie 'Lenz', 'Woyzeck' und 'Leonce und Lena'postum.