Produktbeschreibung
Wir befinden uns im 12. Jahrhundert, zur Zeit der Kreuzzüge. Baudolino, ein gewitzter Bauernsohn aus dem Piemont, wird Adoptivsohn des Kaisers Friedrich I. Barbarossa. Den Kopf voller Flausen, Phantasien und Lügen, lenken seine irrwitzigen Ideen von nun an den Lauf der Weltgeschichte. Von den Liebesbriefen an die Kaiserin, den undurchsichtigen Machenschaften bei der Belagerung Alessandrias und dem rätselhaften Tod Barbarossas gar nicht zu reden ...
Zusammenfassung
Umberto Eco ist mit seinem neuen, langerwartetem Roman zurückgekehrt ins Mittelalter, aber nicht ins späte seines Welterfolgs " Der Name der Rose", sondern diesmal ins Hochmittelalter des berühmten Kaisers Friedrich Barbarossa.
Baudolino, der kleine Bauer aus Alessandria im Piemont ( wo Jahrhunderte später auch ein gewisser Umberto Eco geboren wurde), voll von phantastischen Ideen und unerschöpflicher Fabulierkunst ( wie alle seine Landsleute), führt uns durch ein historisches Panorama von überwältigender Breite: Wie er 1154 als Dreizehnjähriger Barbarossa begegnet, von ihm adoptiert wird, mit ihm zur Kaiserkrönung nach Rom und endlich auf den großen Kreuzzug ins Heilige Land geht, immer auf der Suche nach dem mythischen Reich des Priesterkönigs Johannes im fernsten Orient. Alles hat Baudolino miterlebt, doch ein Geheimnis kennt nur er ganz allein: Barbarossa, der angeblich im Fluß ertrank, ist mysteriöserweise bereits in der Nacht zuvor in einer geheimnisvollen Burg, in seinem fest verschlossenen und gut bewachten Schlafzimmer, ums Leben gekommen, und Baudolino ahnt, wer der Mörder sein könnte...
Schelmenroman und historischer Roman, phantastische Chronik und Geschichte eines unmöglichen Verbrechens - Umberto Eco vereinigt all das zu einem großen Epos über die Mythen und Utopien der abendländischen Kultur - und er wäre nicht Umberto Eco, wenn er dabei nicht zugleich einen ironischen Blick auf unsere eigene, nicht weniger seltsame Gegenwart werfen würde.
Leseprobe
"In jenen Tagen des Wartens, Kyrios Niketas, war ich von gegensätzlichen Gefühlen beherrscht. Ich brannte vor Begierde, sie wiederzusehen, ich fürchtete, sie nie wiederzusehen, ich sah sie umstellt von tausend Gefahren, mit einem Wort, ich machte alle Gefühle durch, die zur Liebe gehören, nur nicht die Eifersucht."
"Hast du nicht daran gedacht, daß die Große Mutter sie gerade jetzt zu den Befruchtern schicken könnte?"
"Ein solcher Zweifel ist mir nie gekommen. Vielleicht dachte ich, weil ich wußte, wie sehr ich inzwischen der ihre war, sie sei in solchem Grade die meine, daß sie es ablehnen würde, sich von anderen berühren zu lassen. Ich habe lange darüber nachgedacht, hinterher, und bin zu dem Schluß gekommen, daß vollkommene Liebe keinen Platz für Eifersucht läßt. Eifersucht ist Verdacht, Furcht und Verleumdung zwischen Liebenden, und der Apostel Johannes hat gesagt, daß die vollkommene Liebe alle Furcht vertreibt. Ich empfand keine Eifersucht, aber ich versuchte ständig, mir ihr Gesicht vor Augen zu halten, und es gelang mir nicht. Ich erinnerte mich an das, was ich empfunden hatte, wenn ich sie ansah, aber ich konnte sie mir nicht vorstellen. Dabei tat ich während unserer Begegnungen nichts anderes, als sie unverwandt anzusehen . . ."
"Ich habe gelesen, daß es heftig Liebenden so ergeht . . .", sagte Niketas mit der Verlegenheit dessen, der eine so überwältigende Leidenschaft nie selber erfahren hat. "Ist es dir bei Beatrix und bei Colandrina nicht so ergangen?"
"Nein, nicht in dem Maße, daß es mich so hätte leiden lassen. Ich glaube, bei Beatrix habe ich vor allem die Idee der Liebe kultiviert, ich brauchte kein reales Gesicht, und außerdem hätte ich es als Sakrileg empfunden, mir ihre körperlichen Züge vorzustellen. Was Colandrina betraf, so ist mir klargeworden - nachdem ich Hypatia kennengelernt hatte -, daß es bei ihr keine Leidenschaft war, sondern eher Freude, Zärtlichkeit, innigste Zuneigung, wie ich sie, Gott vergebe mir, für eine Tochter oder eine kleine Schwester hätte empfinden können. Ich glaube, es geht allen Verliebten so, aber in jenen Tagen war ich überzeugt, daß Hypatia die erste Frau war, die ich wirklich liebte - und sicher war sie das auch und ist es noch und wird es immer bleiben. Später begriff ich, daß wahre Liebe ihren Wohnsitz im innersten Herzen aufschlägt und dort Ruhe findet, aufmerksam für ihre nobelsten Geheimnisse, und daß sie nur selten in die Räume der Vorstellung zurückkehrt. Deshalb gelingt es ihr nicht, die körperliche Gestalt der abwesenden Geliebten zu reproduzieren. Nur die Liebe zur Unzucht, die nie bis ins Innerste des Herzens eindringt und sich allein von lüsternen Phantasien ernährt, vermag solche Bilder zu produzieren."
Niketas schwieg, doch es fiel ihm sichtlich schwer, seinen Neid zu beherrschen.
Ihre Wiederbegegnung war schüchtern und bewegt. Hypatias Augen strahlten vor Glück, aber gleich darauf senkte sie schamhaft den Blick. Sie setzten sich ins Gras. Akazio weidete friedlich in geringer Entfernung. Die Blumen ringsum dufteten mehr als gewöhnlich, und Baudolino fühlte sich, als hätte er gerade ein Schlückchen burq gekostet. Er wagte nicht zu sprechen, aber schließlich rang er sich dazu durch, weil die Intensität ihres Schweigens ihn sonst zu einer unkontrollierten Bewegung hingerissen hätte.
Erst jetzt verstand er, warum er hatte erzählen hören, daß die wahren Liebenden bei ihrem ersten Liebesgespräch erbleichen, zittern und immer wieder verstummen. Es geschieht, weil die Liebe, da sie sowohl das Reich der Natur wie das der Seele beherrscht, alle Kräfte beider auf sich zieht, wie immer sie sich auch bewegt. So bringt die Liebe, wenn die wahren Liebenden sich begegnen, alle Funktionen des Körpers ins Stocken und fast zum Stillstand, sowohl die körperlichen wie die geistigen: Die Zunge weigert sich zu sprechen, die Augen zu sehen, die Ohren zu hören, und jedes Glied entzieht sich seiner Pflicht. Dies hat zur Folge, daß der Körper, wenn die Liebe sich allzu lange im innersten Herzen aufhält, seiner Kräfte beraubt verfällt. An einem bestimmten Punkt jedoch wirft das Herz, wegen der Ungeduld der Liebesglut, die es empfindet, seine Leidenschaft gleichsam hinaus und erlaubt damit dem Körper, seine Funktionen wieder aufzunehmen. Und dann spricht der Liebende.
"So ist es", sagte Baudolino, ohne zu erklären, was er empfand und was er gerade verstanden hatte, "all die schönen und schrecklichen Dinge, die du mir erzählt hast, sind das, was euch die weise Hypatia gelehrt hat . . ."
"O nein", sagte sie, "ich habe dir gesagt, daß unsere Ahninnen, als sie fliehen mußten, alles vergessen hatten, was Hypatia sie gelehrt hatte, außer der Pflicht zur Erkenntnis. Durch Meditation haben wir dann immer mehr von der Wahrheit entdeckt. Jede von uns hat während dieser Jahrtausende nachgedacht über die Welt, die uns umgibt, und über das, was sie in ihrer Seele empfand, und so ist unser Bewußtsein Tag für Tag reicher geworden, und das Werk ist noch nicht vollendet. Vielleicht waren in dem, was ich dir gesagt habe, auch ein paar Dinge, die meine Gefährtinnen noch nicht verstanden haben und die mir erst aufgegangen sind, als ich versuchte, sie dir zu erklären. So macht jede von uns sich weise, indem sie den anderen erklärt, was sie fühlt, und während sie es erklärt, lernt sie es selber verstehen. Wenn du nicht hier bei mir wärest, hätte ich mir selbst vielleicht einige Dinge nicht so klar gemacht. Du warst mein guter Geist, mein gütiger Archont, Baudolino."
"Sind alle deine Gefährtinnen so klar und beredt wie du, meine liebreizende Hypatia?"
"Oh, ich bin unter ihnen die letzte. Manchmal machen sie sich über mich lustig, weil ich nicht ausdrücken kann, was ich empfinde. Ich muß noch wachsen, verstehst du? Aber in diesen Tagen habe ich mich stolz gefühlt, als hätte ich ein Geheimnis, das sie nicht kennen, und - ich weiß nicht, warum - ich habe es lieber für mich behalten. Ich verstehe nicht recht, was mit mir geschieht, es ist, als ob . . . als ob ich das alles lieber zu dir sagte als zu ihnen. Meinst du, das ist etwas Schlechtes, bin ich unlauter zu ihnen?"
"Du bist lauter zu mir."
"Bei dir ist es leicht. Ich glaube, dir könnte ich alles sagen, was mir durch den Sinn geht und ins Herz kommt. Auch wenn ich nicht sicher wäre, ob es richtig ist. Weißt du, was mir in diesen Tagen passiert ist, Baudolino? Ich habe von dir geträumt. Wenn ich morgens aufgewacht bin, habe ich gedacht, das wird ein schöner Tag, weil du irgendwo in der Nähe warst. Dann habe ich dich nicht gesehen und dachte, der Tag wird häßlich. Es ist seltsam, gewöhnlich lacht man, wenn man glücklich ist, und weint, wenn man leidet, aber mir passiert es neuerdings, daß ich im gleichen Augenblick lache und weine. Bin ich vielleicht krank? Dann ist es jedoch eine wunderschöne Krankheit. Ist es recht, seine eigene Krankheit zu lieben?"
"Du bist hier die Magistra, liebste Freundin", sagte Baudolino lächelnd, "du darfst mich nicht fragen, auch weil ich, glaube ich, dieselbe Krankheit habe."
Autoreninfo
Umberto Eco wurde 1932 in Alessandria geboren und lebt heute in Mailand. Er studierte Pädagogik und Philosophie und promovierte 1954 an der Universität Turin. Anschließend arbeitete er beim Italienischen Fernsehen und war als freier Dozent für Ästhetik und visuelle Kommunikation in Turin, Mailand und Florenz tätig. Seit 1971 unterrichtet er Semiotik in Bologna. Eco erhielt neben zahlreichen Auszeichnungen den Premio Strega (1981) und wurde 1988 zum Ehrendoktor der Pariser Sorbonne ernannt.
Er verfaßte zahlreiche Schriften zur Theorie und Praxis der Zeichen, der Literatur, der Kunst und nicht zuletzt der Ästhetik des Mittelalters. Seine Romane 'Der Name der Rose' und 'Das Foucaultsche Pendel' sind Welterfolge geworden.