Produktbeschreibung
Ein schmales, aber für die Gattung der kleinen Prosa - vor allem mit der Judenbuche - für die Form der Novelle hohe Maßstäbe setzendes Prosawerk. Die Texte folgen der von Manfred Häckel im Insel Verlag 1976 edierten Werkausgabe.
Inhaltsverzeichnis
Ledwina. Die Judenbuche. Bei uns zu Lande auf dem Lande. Bilder aus Westfalen. Joseph.
Leseprobe
Ledwina
Der Strom zog still seinen Weg und konnte keine der Blumen und
Zweige auf seinem Spiegel mitnehmen. Nur eine Gestalt wie die
einer jungen Silberlinde schwamm langsam seine Fluten hinauf;
es war das schöne, bleiche Bild Ledwinens, die von einem
weiten Spaziergange an seinen Ufern heimging. Wenn sie zuweilen
halb ermüdet, halb sinnend stillstand, dann konnte er keine
Strahlen stehlen, auch keine helleren oder milderen Farbenspiele
von ihrer jungen Gestalt; denn sie war so farblos wie eine Schneeblume,
und selbst ihre lieben Augen waren wie ein paar verblichene Vergißmeinnichte,
denen nur Treue geblieben, aber kein Glanz.
»Müde, müde«, sagte sie leise und ließ
sich langsam nieder in das hohe, grüne Ufergras, daß
es sie umstand wie die grüne Einfassung ein Lilienbeet. Eine
angenehme Frische zog durch alle ihre Glieder, daß sie die
Augen vor Lust schloß, als ein krampfhafter Schmerz sie
auftrieb. Im Nu stand sie aufrecht, die eine Hand auf die kranke
Brust gepreßt, und schüttelte unwillig ob ihrer Schwäche
das blonde Haupt, wandte sich rasch wie zum Fortgehn und kehrte
dann fast wie trotzend zurück, trat dicht an das Ufer und
schaute anfangs hell, dann träumend in den Strom. Ein großer,
aus dem Flusse ragender Stein sprühte bunte Tropfen um sich,
und die Wellchen strömten und brachen sich so zierlich, daß
das Wasser hier mit einem Netze überzogen schien und die
Blätter der am Ufer neigenden Zweige im Spiegel wie grüne
Schmetterlinge davonflatterten. Ledwinens Augen aber ruhten aus
auf ihrer eigenen Gestalt, wie die Locken von ihrem Haupte fielen
und forttrieben, ihr Gewand zerriß und die weißen
Finger sich ablösten und verschwammen.
Autoreninfo
Annette von Droste-Hülshoff ist eine der großen Frauengestalten der deutschen Literatur. Abseits des literarischen Lebens und so auch der literarischen Modeströmungen ihrer Zeit schuf sie ein schmales Werk zwischen Biedermeier und poetischem Realismus. Die lyrische Produktion der Droste - Clemens Heselhaus hat ihre Gedichte "ein Tagebuch ihres inneren Lebens" genannt - reicht von Natur- und Landschaftsgedichten, Heidebildern, düsteren Balladen, geistlichen Gedichten und Bekenntnissen bis zu umfangreichen Versepen. In ihren Prosaskizzen und Beschreibungen hat sie ihrer Heimat unvergleichlich eindrucksvolle Denkmäler gesetzt. Mit der Judenbuche hat die Droste eine der bedeutendsten deutschen Novellen geschaffen.