Produktbeschreibung
Fontanes spannende und einem dramatischen Ende entgegentreibende
Chronik-Erzählung Grete Minde greift auf Ereignisse
zurück, die 1617 zur Verwüstung der Stadt Tangermünde
durch einen Brand führten.
Leseprobe
Das Hänflingnest
»Weißt du, Grete, wir haben ein Nest in unserm Garten,
und ganz niedrig, und zwei Junge drin.»Das wäre! Wo
denn? Ist es ein Fink oder eine Nachtigall?«
»Ich sag es nicht. Du mußt es raten.«
Diese Worte waren an einem überwachsenen Zaun, der zwei Nachbargärten
voneinander trennte, gesprochen worden. Die Sprechenden, ein Mädchen
und ein Knabe, ließen sich nur halb erkennen, denn so hoch
sie standen, so waren die Himbeerbüsche hüben und drüben
doch noch höher und wuchsen ihnen bis über die Brust.
»Bitte, Valtin«, fuhr das Mädchen fort, »sag
es mir.«
»Rate.«
»Ich kann nicht. Und ich will auch nicht.«
»Du könntest schon, wenn du wolltest. Sieh nur«,
und dabei wies er mit dem Zeigefinger auf einen kleinen Vogel,
der eben über ihre Köpfe hinflog und sich auf eine hohe
Hanfstaude niedersetzte.
»Sieh«, wiederholte Valtin.
»Ein Hänfling?«
»Geraten.«
Der Vogel wiegte sich eine Weile, zwitscherte und flog dann wieder
in den Garten zurück, in dem er sein Nest hatte. Die beiden
Kinder folgten ihm neugierig mit ihren Augen.
»Denke dir«, sagte Grete, »ich habe noch kein Vogelnest
gesehen; bloß die zwei Schwalbennester auf unsrem Flur.
Und ein Schwalbennest ist eigentlich gar kein Nest.«
»Höre, Grete, ich glaube, da hast du recht.«
»Ein richtiges Nest, ich meine von einem Vogel, nicht ein
Krähen- oder Storchennest, das muß so weich sein wie
der Flachs von Reginens Wocken.«
Autoreninfo
Theodor Fontane (1819 -1898) ist der bedeutendste Erzähler des literarischen Realismus. Der gelernte Apotheker machte mit 30 Jahren das Schreiben zum Beruf, zunächst als Journalist und Theaterkritiker. Erst spät begann er erfolgreich Romane und Erzählungen zu schreiben. Seine Romane und Novellen, die vielfach verfilmt wurden, zählen zu den meistgelesenen Klassikern des 19. Jahrhunderts.