Produktbeschreibung
Anfang Februar 1774 begann Goethe mit der Niederschrift des "Werther". Bereits im April schloss er die Arbeit daran ab und schrieb darüber am 26. April 1774 an Lavater: "Du wirst großen Teil nehmen an den Leiden des lieben Jungen, den ich darstelle. Wir gingen nebeneinander an die sechs Jahre, ohne uns zu nähern. Und nun hab' ich seiner Geschichte meine Empfindungen geliehen, und so macht's ein wunderbares Ganzes." Wie bahnbrechend Goethes Roman zu seiner Zeit war, wird uns beim Lesen von "Die Leiden des jungen Werther" kaum bewusst. Hier werden "lebendige Bilder aus dem bürgerlichen Leben mit der Geschichte einer Seele verbunden" (E. Trunz), was gegenüber den vorangegangenen Briefromanen (Rousseau) neu ist, zudem haben wir es hier nur mit einem Briefschreiber zu tun. Durch den "Werther" ist der neuzeitliche deutsche Roman eigentlich erst geschaffen.
Das Hamburger Leseheft enthält neben dem ungekürzten Text (mit seitenweiser Zeilenzählung) ein umfangreiches Nachwort, das u.a. aus vielen sich mit dem Werk befassenden Briefen zitiert und Leitfragen zur Auseinandersetzung mit dem Roman stellt, sowie das Verständnis erleichternde Worterläuterungen.
Leseprobe
Was ich von der Geschichte des armen Werther nur habe auffinden
können, habe ich mit Fleiß gesammelt und lege es euch
hier vor, und weiß, daß ihr mir's danken werdet. Ihr
könnt seinem Geiste und seinem Charakter eure Bewunderung
und Liebe, seinem Schicksale eure Tränen nicht versagen.
Und du gute Seele, die du eben den Drang fühlst wie er,
schöpfe Trost aus seinem Leiden, und laß das Büchlein
deinen Freund sein, wenn du aus Geschick oder eigener Schuld keinen
nähern finden kannst.
Wie froh bin ich, daß ich weg bin! Bester Freund, was ist
das Herz des Menschen! Dich zu verlassen, den ich so liebe, von
dem ich unzertrennlich war, und froh zu sein! Ich weiß,
Du verzeihst mir's. Waren nicht meine übrigen Verbindungen
recht ausgesucht vom Schicksal, um ein Herz wie das meine zu ängstigen?
Die arme Leonore! Und doch war ich unschuldig. Konnt' ich dafür,
daß, während die eigensinnigen Reize ihrer Schwester
mir eine angenehme Unterhaltung verschafften, daß eine Leidenschaft
in dem armen Herzen sich bildete! Und doch - bin ich ganz unschuldig?
Hab' ich nicht ihre Empfindungen genährt? Hab' ich mich nicht
an den ganz wahren Ausdrücken der Natur, die uns so oft zu
lachen machten, so wenig lächerlich sie waren, selbst ergetzt?
hab' ich nicht - O was ist der Mensch, daß er über
sich klagen darf! Ich will, lieber Freund, ich verspreche dir's,
ich will mich bessern, will nicht mehr ein bißchen Übel,
das uns das Schicksal vorlegt, wiederkäuen, wie ich's immer
getan habe; ich will das Gegenwärtige genießen, und
das Vergangene soll mir vergangen sein. Gewiß, Du hast recht,
Bester, der Schmerzen wären minder unter den Menschen, wenn
sie nicht - Gott weiß, warum sie so gemacht sind! - mit
so viel Emsigkeit der Einbildungskraft sich beschäftigten,
die Erinnerungen des vergangenen Übels zurückzurufen,
eher als eine gleichgültige Gegenwart zu ertragen.
Du bist so gut, meiner Mutter zu sagen, daß ich ihr Geschäft
bestens betreiben und ihr ehstens Nachricht davon geben werde.
Ich habe meine Tante gesprochen und bei weitem das böse Weib
nicht gefunden, das man bei uns aus ihr macht. Sie ist eine muntere,
heftige Frau von dem besten Herzen. ...
Autoreninfo
Johann Wolfgang v. Goethe geboren am 28.8.1749 in Frankfurt a.M., gestorben am 22.3.1832 in Weimar. Jurastudium in Leipzig und Strassburg. Lebenslanges Wirken in Weimar. Reisen zum Rhein, nach der Schweiz, Italien und Böhmen. Frühe Erfolge mit den Sturm und Drang-Stücken "Götz" und "Werther", Gedichte (herrliche Liebeslyrik), Epen, Dramen ("Faust", "Tasso", "Iphigenie" u.v.a.), Autobiographien. Zeichner und Universalgelehrter: Botanik, Morphologie, Mineralogie, Optik. Theaterleiter und Staatsmann. Freundschaft und Korrespondenz mit den grössten Dichtern, Denkern und Forschern seiner Zeit (Schiller, Humboldt, Schelling...)