Produktbeschreibung
"Drei Erzähler schreiben zur Jahreswende 1960/61 gleichzeitig die drei
Bücher des 1963 erschienenen Romans und werden so in Vorkriegs-, Kriegs-
und Nachkriegszeit Chronisten der 'Hundejahre' unseres Jahrhunderts; Eddi
Amsel, das Opfer, Harry Liebenau, der Zeuge, und Walter Matern, der Täter.
Deutsche Schäferhunde, von einer litauischen Wölfin als Urahnin bis zu
Hitlers Lieblingshund, die Mädchen Tulla und Jenny und ein Reigen von
Vogelscheuchen begleiten sie auf ihrer Odyssee von Danzig nach Westdeutschland,
bis hinab in die Unterwelt. Der Roman endet in einem Bergwerk, in dem der
Künstler Amsel alias Brauchsel seine weltweit begehrten Vogelscheuchen
industriell herstellt und so die reale Welt als Unterwelt entlarvt: Der
Orkus ist oben und die Vogelscheuche ist nach dem Bilde des Menschen geschaffen.
'Die Reise von Danzig in die Seuchengrube verwandelt den Leser; nicht daß
er Rache üben wollte wie der Komödiant Matern, Gott sei vor, doch er neidet
dem Harry die Tulla, dem Eduard die Jenny, dem Schulmeister die Lutscher
und dem Grass die Phantasie.'"
Kritik
Selten habe ich einen sprachlich so überbordenden, auch mal überdrehten, aber doch durchkomponierten Roman gelesen. Clemens Meyer buchreport.express 20180719
Leseprobe
Erste Frühschicht
Erzähl Du. Nein, erzählen Sie! Oder Du erzählst.
Soll etwa der Schauspieler anfangen? Sollen die Scheuchen, alle
durcheinander? Oder wollen wir abwarten, bis sich die acht Planeten
im Zeichen Wassermann geballt haben? Bitte, fangen Sie an! Schließlich
hat Ihr Hund damals. Doch bevor mein Hund, hat schon Ihr Hund,
und der Hund vom Hund. Einer muß anfangen: Du oder Er oder
Sie oder Ich... Vor vielen vielen Sonnenuntergängen, lange
bevor es uns gab, floß, ohne uns zu spiegeln, tagtäglich
die Weichsel und mündete immerfort.
Der hier die Feder führt, wird zur Zeit Brauxel genannt,
steht einem Bergwerk vor, das weder Kali, Erz noch Kohle fördert
und dennoch hundertvierunddreißig Arbeiter und Angestellte
auf Förderstrecken und Teilsohlen, in Firstenkammern und
Querschhlägen, an der Lohnkasse und in der Packerei beschäftigt:
von Schichtwechsel zu Schichtwechsel.
Unreguliert und gefährlich floß früher die Weichsel.
So rief man tausend Erdarbeiter und ließ im Jahre achtzehnhundertfünfundneunzig
von Einlage nordwärts, zwischen den Nehrungsdörfern
Schiewenhorst und Nickelswalde, den sogenannten Durchstich graben.
Der verringerte, indem er der Weichsel eine neue und schnurgerade
Mündung gab, die Überschwemmungsgefahr.
Der Federführende schreibt Brauksel zumeist wie Castrop-Rauxel
und manchmal wie Häksel. Bei Laune schreibt Brauxel seinen
Namen wie Weichsel. Spieltrieb und Pedanterie diktieren und widersprechen
sich nicht.
Von Horizont zu Horizont liefen die Deiche der Weichsel und hatten
sich, unter Aufsicht des Deichregulierungskommissarius zu Marienwerder,
gegen die hochgehenden Frühjahrsfluten und gegen das Dominikswasser
zu stemmen. Wehe, wenn Mäuse im Deich waren...
Autoreninfo
Günter Grass wurde am 16. Oktober 1927 in Danzig geboren, absolvierte nach der Entlassung aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft eine Steinmetzlehre, studierte Grafik und Bildhauerei in Düsseldorf und Berlin.
1956 erschien der erste Gedichtband mit Zeichnungen, 1959 der erste Roman, Die Blechtrommel. 1999 wurde Günter Grass der Nobelpreis für Literatur verliehen. Bis zu seinem Tod am 13. April 2015 lebte Günter Grass in der Nähe von Lübeck. Sein gesamtes literarisches Werk ist auch bei dtv erschienen.