Produktbeschreibung
Als Gegenstück zu Heldenverehrung und Genie-Kult erzählt
Maugham - nach dem Leben Paul Gauguins - die psychologische Biographie
eines Genies: Charles Strickland, 17 Jahre lang Börsenmakler
und makelloser Familienvater, verläßt Beruf, Frau,
Kinder, Stellung und Besitz, um Maler zu werden. Kunsthändler
entdecken auf Tahiti, seiner letzten Lebensstation, sein Genie
und machen das Geschäft.
Leseprobe
Ich gestehe, als ich zum erstenmal die Bekanntschaft von Charles
Strickland machte, kam ich nicht einmal einen Augenblick lang
auf die Idee, daß an ihm etwas Außergewöhnliches
war. Doch jetzt wird man kaum noch jemanden finden, der seine
Größe leugnet. Ich spreche nicht von der Größe,
die der vom Glück begünstigte Politiker oder der siegreiche
Soldat erreichen; diese ist eine Eigenschaft, die eher zur Stellung
gehört, die der Betreffende einnimmt, als zu dem Mann selbst;
und eine Änderung der Verhältnisse reduziert sie auf
ein sehr bescheidenes Maß. Der Premierminister a. D. ist
oft nur noch ein Schwätzer, und der General ohne Armee nur
der zahme Held seiner Kleinstadt. Charles Stricklands Größe
war echt. Mag sein, daß man seine Kunst nicht schätzt,
aber man wird ihr auf alle Fälle Interesse entgegenbringen.
Er beunruhigt und nimmt gefangen. Die Zeit, da er ein Gegenstand
des Gelächters war, ist vorbei; und es ist nicht länger
ein Zeichen von Überspanntheit, ihn zu verteidigen, oder
von Eigensinn, ihn zu loben. Seine Fehler gelten als notwendige
Ergänzung seiner Verdienste. Es ist noch möglich, über
seinen Platz in der Kunst zu streiten, und die Lobhudelei seiner
Bewunderer ist vielleicht genauso unbeständig wie die Verachtung
seiner Gegner; aber eines steht außer Zweifel: er besaß
Genie. Mich interessiert in der Kunst am meisten die Persönlichkeit
des Künstlers, und wenn diese einzigartig ist, bin ich gewillt,
tausend Fehler zu verzeihen. Vermutlich war Velasquez ein besserer
Maler als EL Greco, aber Gewohnheit hat unsere Bewunderung für
ihn abgestumpft; der Kreter, sinnlich und tragisch, bringt das
Geheimnis seiner Seele wie ein dauerndes Opfer dar. Der Künstler,
Maler, Dichter oder Musiker - befriedigt unseren ästhetischen
Sinn mit seinen erhabenen und schönen Zeichen; aber das ist
dem Sexualtrieb verwandt und hat teil an dessen Grausamkeit: er
breitet sein innerstes Wesen vor uns aus. Seinem Geheimnis nachzuspüren
hat etwas von der Faszination einer Detektivgeschichte. Es ist
ein Rätsel, das mit dem Weltall den Vorzug teilt, unlösbar
zu sein.
Autoreninfo
W. Somerset Maugham, geboren 1874, war früh von der Literatur angezogen. Er studierte zunächst Medizin, übte den Arztberuf aber nicht aus. Als Bühnenautor hatte er bald großen Erfolg, seinen literarischen Ruhm erlangte er jedoch als Romancier und Geschichtenerzähler. Zeitweise war er als britischer Geheimagent tätig. Er bereiste zahlreiche Länder, vor allem im Fernen Osten, dem Schauplatz vieler seiner Erzählungen, und starb 1965 in Cap Ferrat an der französischen Riviera.