Produktbeschreibung
In dieser Chroniknovelle schildert Storm die Liebe eines Malers zur Tochter seines adligen Gönners. Von ihrem Bruder verfolgt, der sie nach dem Tode des Vaters seinem adligen Freund zur Frau geben möchte, flüchtet sich der Maler eines Nachts in das Zimmer der Geliebten. Durch das aus dieser Liebesbeziehung hervorgegangene Kind wird sie zur Zwangsehe mit einem von ihr ungeliebten Prediger gezwungen. Als der Maler sie nach Jahren im Garten des Predigers wiedersieht. ertrinkt durch ihre Unachtsamkeit das Kind: culpa patris aquis submersus. Theodor Storm sieht die "Schuld der Dichtung" nicht in der Hingabe des Paares, sondern vielmehr "auf der anderen Seite, hier auf dem unerbittlichen Geschlechterhasse, dort auf dem Übermute eines Bruchteils der Gesellschaft"'. Der Anhang bringt neben einem Nachwort zwei Briefstellen, in denen Storm auf den "Perpendikelanstoß" zu dieser Novelle eingeht, sowie eine kurze Selbstinterpretation Storms. Eine Zeittafel zu Storms Leben und Werk und ausführliche Anmerkungen vervollständigen das Heft.
Leseprobe
In unserem zu dem früher herzoglichen Schlosse gehörigen,
seit Menschengedenken aber ganz vernachlässigten "Schloßgarten"
waren schon in meiner Knabenzeit die einst im altfranzösischen
Stile angelegten Hagebuchenhecken zu dünnen, gespenstischen
Alleen ausgewachsen; da sie indessen immerhin noch einige Blätter
tragen, so wissen wir Hiesigen, durch Laub der Bäume nicht
verwöhnt, sie gleichwohl auch in dieser Form zu schätzen;
und zumal von uns nachdenklichen Leuten wird immer der eine oder
andre dort zu treffen sein. Wir pflegen dann unter dem dürftigen
Schatten nach dem sogenannten "Berg" zu wandern, einer
kleinen Anhöhe in der nordwestlichen Ecke des Gartens oberhalb
dem ausgetrockneten Bette eines Fischteiches, von wo aus der weitesten
Aussicht nichts im Wege steht.
Die meisten mögen wohl nach Westen blicken, um sich an dem
lichten Grün der Marschen und darüberhin an der Silberflut
des Meeres zu ergötzen, auf welche das Schattenspiel der
langgestreckten Insel schwimmt; meine Augen wenden unwillkürlich
sich nach Norden, wo, kaum eine Meile fern, der graue spitze Kirchturm
aus dem höher belegenen, aber öden Küstenlande
aufsteigt; denn dort liegt eine von den Stätten meiner Jugend.
Der Pastorssohn aus jenem Dorfe besuchte mit mir die "Gelehrtenschule"
meiner Vaterstadt, und unzählige Male sind wir am Sonnabendnachmittage
zusammen dahinaus gewandert, um dann am Sonntagabend oder montags
früh zu unserem Nepos oder später zu unserem Cicero
nach der Stadt zurückzukehren. Es war damals auf der Mitte
des Weges noch ein gut Stück ungebrochener Heide übrig,
wie sie sich einst nach der einen Seite bis fast zur Stadt, nach
der anderen ebenso gegen das Dorf erstreckt hatte. Hier summten
auf den Blüten des duftenden Heidekrauts die Immen und weißgrauen
Hummeln und rannte unter den dürren Stengeln desselben der
schöne goldgrüne Laufkäfer; hier in den Duftwolken
der Eriken und des harzigen Gagelstrauches schwebten Schmetterlinge,
die nirgends sonst zu finden waren. Mein ungeduldig dem Elternhause
zustrebender Freund hatte oft seine liebe Not, seinen träumerischen
Genossen durch all die Herrlichkeiten mit sich fortzubringen;
hatten wir jedoch das angebaute Feld erreicht, dann ging es auch
um desto munterer vorwärts, und bald, wenn wir nur erst den
langen Sandweg hinaufwateten, erblickten wir auch schon über
dem dunkeln Grün einer Fliederhecke den Giebel des Pastorhauses,
aus dem das Studierzimmer des Pastors mit seinen kleinen blinden
Fensterscheiben auf die bekannten Gäste hinabgrüßte.
Autoreninfo
Theodor Storm (1817-1888) zählt noch heute zu den beliebtesten Dichtern aus dem 19. Jahrhundert. Er schreibt von der grauen Stadt am Meer - seiner Heimatstadt Husum -, von ihren Patriziern, ihren "kleinen Leuten" und deren Ränken und Nöten, er schreibt Familiengeschichten, er schreibt zarte Geschichten von beginnender Liebe und Geschichten von lebenslanger herzlicher Gemeinschaft. Anders als viele seiner Zeitgenossen ist Storm kein volkstümelnder Neo-Romantiker, sondern steht ganz in der Realität des Zusammenpralls der alten mit der neuen Zeit.