Produktbeschreibung
Der Traum der Roten Kammer enthält Merkmale älterer chinesischer Volksromane
wie einen Prolog oder die Vermischung von Prosa mit Versen; neu ist jedoch
die Existenz eines Hauptprotagonisten, mit dessen Geschichte das Buch beginnt
und endet. Ein mythisches Leitmotiv des Romans ist die unerfüllte Liebe
des Helden Baoyu zu seiner Kusine Daiyu. Der Prolog handelt von der Neigung
zwischen dem Edelstein der durchdringenden Geisterkraft und der Pflanze
Purpurperle. Der Stein gelangt durch einen buddhistischen Mönch und einen
daoistischen Priester in die Welt der Sterblichen und wird in Gestalt des
jungen Herrn Baoyu im reichen Haus der Jia zum Leben erweckt. Purpurperle
wächst an den Ufern des Geisterstromes und wird von dem Stein mit süßem
Tau genährt, bis sie schließlich zum Leben erwacht. Sie wird als Baoyus
Kusine Daiyu geboren. Auf der irdischen Ebene wird die Atmosphäre der beiden
luxuriösen Häuser der Familie Jia und des dazugehörenden Gartens beschrieben,
der den idyllischen Rahmen für einen Teil der Handlung abgibt. Den Mädchen
des Hauses wird erlaubt, im Garten zu wohnen, der junge Baoyu darf sich
zu ihnen gesellen. Die Liebe zwischen Baoyu und Daiyu wird durch Baoyus
gleichzeitige Neigung für eine andere Kusine überschattet. Er wird schließlich
gegen seinen Willen mit dieser Kusine verheiratet, Daiyu stirbt im Verlauf
der Trauungszeremonie. Baoyu erfüllt seine Familienpflichten, zieht sich
am Ende von der Welt zurück und wird buddhistischer Mönch.
Zusammenfassung
Der Roman, eine Art Lebensbrevier der chinesischen Jugend, fesselt
durch den Lauf der Handlung. Die handelnden Personen sind lebendig
charakterisiert, Menschen von Fleisch und Blut agieren in einer
wirklichkeitsgetreu dargestellten Welt. Aber es gibt auch eine
taoistische Grundtendenz dieses Werks, die sich mit folgenden
beiden Versen umschreiben läßt: »Wünschen,
streben, sehen, schmachten - alles Wahn! Wozu das Trachten?«
Inhalt des »Traums der roten Kammer« ist die Geschichte
vom Glanz und vom selbstverschuldeten Verfall eines edlen, großen
Geschlechts, das schließlich dank der sittlichen und geistigen
Hochleistung eines an sich entarteten Sprößlings -
Pao Yü beugt sich pietätvoll dem Willen der Eltern und
ringt sich, entgegen seiner Natur, das Opfer ab, sich zur Prüfung
zu stellen und sie in Ehren zu bestehen - wieder zu Aufstieg gelangt.
Dieses Lieblingsbuch der Chinesen gilt als der große Roman
der Tsing-Dynastie, die von 1644 bis zum Ende des chinesischen
Kaiserreichs 1912 währte. Der Klassiker der chinesischen
Literatur ist in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts
verfaßt worden.
Leseprobe
Schi Yin wird im Traum entrückt und hat eine Offenbarung.
Yü Tsun findet im Staub des Alltags das Mädchen seines
Herzens.
Unsere Geschichte beginnt in Su tschou, der festen Stadt im Südostzipfel
der chinesischen Tiefebene. Außerhalb des Kaisertors, der
Eingangspforte in die Wohngegend der Vornehmen und Reichen, in
die Stätte des Wohllebens und roten Staubs, zog sich
die Zehnmeilenstraße hin. Dort, in einer schmalen,
gurkenartigen Einbuchtung der Straße, dicht bei einem alten
Tempel, allgemein als Gurkentempel bekannt, wohnte der
ehrenwerte Bürger Schi Yin mit seinem braven, tugendsamen
Weib, einer geborenen Fong.
Schi Yin zählte, wenn auch nicht zu den vornehmsten, so doch
zu den angesehenen Leuten seines Vorstadtviertels. Ein hübscher
Landbesitz ermöglichte ihm ein behagliches Dasein. Er war
nicht auf Ämter und Würden erpicht und fand Genüge
daran, seine Blumen zu pflegen, Bambus zu pflanzen und bei einem
Becher guten Weins Verse zu rezitieren. Kurz, er lebte ein weltentrücktes
idyllisches Leben. Nur eins fehlte ihm zum völligen Glück.
Obwohl schon über die Fünfzig, hatte er kein Söhnchen
auf den Knieen zu schaukeln. Nur ein kleines, jetzt dreijähriges
Töchterchen namens Lotos war ihm beschieden.
An einem jener Sommertage, die gar kein Ende nehmen, war er in
der Bibliothek über den Büchern, von der Hitze erschlafft,
die Stirn auf die Tischkante gestützt, eingenickt. Im Hindämmern
war ihm, als wanderte er durch ein unbekanntes Traumland. Wie
er so wanderte, bogen zwei Priester in seinen Pfad und schritten
neben ihm her. Der eine war ein Jünger des Tao, der andere
ein Diener Buddhas. Er hörte den ersten zum zweiten sagen:
»Wozu hast du den Stein mitgenommen?«
Autoreninfo
Franz Kuhn (1884-1961) war ein deutscher Sinologe, Übersetzer und Jurist. Er war einer der produktivsten Übersetzer aus dem Chinesischen während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Arbeiten machten die chinesische Literatur einem breiten Publikum zugänglich und wurden selbst zum Kult.Franz Kuhn (1884-1961) war ein deutscher Sinologe, Übersetzer und Jurist. Er war einer der produktivsten Übersetzer aus dem Chinesischen während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Arbeiten machten die chinesische Literatur einem breiten Publikum zugänglich und wurden selbst zum Kult.