Produktbeschreibung
»Ich stellte mich an die Treppe zum Bahnsteig und dachte: blond, zwanzig Jahre, kommt in die Stadt, um Lehrerin zu werden ...
Walter Fendrich, der sich in der Nachkriegszeit planlos und kurzfristig als Banklehrling, Verkäufer und Tischlerlehrling versuchte, erhält eines Tages einen Brief seines Vaters, der ihn bittet, die Tochter eines Kollegen vom Bahnhof abzuholen. Das Zusammentreffen mit der zwanzigjährigen Hedwig, die er zuletzt nur flüchtig als Kind gesehen hatte, wird für Walter zur schicksalhaften Begegnung.
Heinrich Böll gelingt es, kleinbürgerliche Schauplätze, die Atmosphäre der Hungerjahre und der Wirtschaftsblüte im Rahmen einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte mit sparsamen Mitteln souverän zu vergegenwärtigen.
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Zusammenfassung
Walter Fendrich, der sich in der Nachkriegszeit planlos und kurzfristig
als Banklehrling, Verkäufer und Tischlerlehrling versuchte,
hat auch seine Elektrikerlehre mehr aus Trotz als aus Begeisterung
beendet. Inzwischen findet er seine Existenz als Waschmaschinen-Mechaniker
»ganz passabel«. Eines Tages erhält er einen Brief
seines Vaters, der ihn bittet, die Tochter eines Kollegen vom
Bahnhof abzuholen. Das Zusammentreffen mit der zwanzigjährigen
Hedwig, die er zuletzt nur flüchtig als Kind gesehen hatte,
wird für Walter zur schicksalhaften Begegnung. Während
er mit nie gekannter Entschlossenheit alles daransetzt, Hedwig
noch an diesem Tage für sich zu gewinnen, erinnert er sich
an die Zeit, als ihn der Hunger quälte und er von einem zwanghaften,
gierigen Verlangen nach Brot besessen war. Und er denkt an die
Menschen, die ihm dieses Brot schenkten oder verweigerten. - Heinrich
Böll gelingt es, kleinbürgerliche Schauplätze,
die Atmosphäre der Hungerjahre und der Wirtschaftsblüte
im Rahmen einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte mit sparsamen
Mitteln souverän zu vergegenwärtigen.
Leseprobe
Der Tag, an dem Hedwig kam, war ein Montag, und an diesem Montagmorgen,
bevor meine Wirtin mir Vaters Brief unter die Tür schob,
hätte ich mir am liebsten die Decke übers Gesicht gezogen,
wie ich es früher oft tat, als ich noch im Lehrlingsheim
wohnte. Aber im Flur rief meine Wirtin: »Es ist Post für
Sie gekommen, von zu Hause!« Und als sie den Brief unter
die Tür schob, er schneeweiß in den grauen Schatten
rutschte, der noch in meinem Zimmer lag, sprang ich erschrocken
aus dem Bett, da ich statt des runden Stempels einer Postanstalt
den ovalen der Bahnpost erkannte.
Vater, der Telegramme haßt, hat mir in den sieben Jahren,
die ich allein hier in der Stadt lebe, nur zwei solcher Briefe
mit dem Stempel der Bahnpost geschickt: Der erste kündigte
Mutters Tod an, der zweite Vaters Unfall, als er beide Beine brach
- und dieser war der dritte; ich riß ihn auf und war erleichtert,
als ich ihn las: »Vergiß nicht«, schrieb Vater,
»daß Mullers Tochter Hedwig, für die Du das Zimmer
besorgtest, heute mit dem Zug ankommt, der 11.47 dort einläuft.
Sei nett, hole sie ab und denke daran, ein paar Blumen zu kaufen
und freundlich zu sein. Versuche Dir vorzustellen, wie es solch
einem Mädchen zumute ist: Sie kommt zum erstenmal allein
in die Stadt, sie kennt die Straße, kennt den Stadtteil
nicht, wo sie wohnen wird, alles ist ihr fremd, und der große
Bahnhof mit dem Rummel um die Mittagszeit wird sie erschrecken.
Bedenke.- Sie ist zwanzig Jahre alt und kommt in die Stadt, um
Lehrerin zu werden. Schade, daß Du Deine Sonntagsbesuche
bei mir nicht mehr regelmäßig machen kannst - schade.
Herzlich Vater.«
Autoreninfo
Heinrich Böll, geboren am 21. Dezember 1917 in Köln, nahm nach dem Abitur eine Lehre im Buchhandel auf, die er bald abbrach. Nach einem gerade begonnenen Studium der Germanistik und klassischen Philosophie wurde Böll 1939 zur Wehrmacht eingezogen.1945 kehrte er aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft nach Köln zurück, wo er sein Studium wieder aufnahm und in der Schreinerei seines Bruders arbeitete. Ab 1947 publizierte er in Zeitschriften und wurde 1951 für die Satire 'Die schwarzen Schafe' mit dem Preis der Gruppe 47 ausgezeichnet. Fortan war er als freier Schriftsteller tätig und veröffentlichte Romane, Erzählungen, Hör- und Fernsehspiele sowie Theaterstücke. Außerdem übersetzte er, gemeinsam mit seiner Frau Annemarie, englische und amerikanische Literatur (u. a. George Bernard Shaw und Jerome D. Salinger).
Als Publizist und Autor führte Heinrich Böll Klage gegen die Grauen des Krieges und seine Folgen, polemisierte gegen die Restauration der Nachkriegszeit und wandte sich gegen den Klerikalismus der katholischen Kirche, aus der er 1976 austrat. In den sechziger und siebziger Jahren unterstützte er die Außerparlamentarische Opposition. 1983 protestierte er gegen die atomare Nachrüstung. Insbesondere engagierte sich Böll für verfolgte Schriftsteller im Ostblock. Der 1974 aus der UdSSR ausgewiesene Alexander Solschenizyn war zunächst Bölls Gast. Ab 1976 gab er, gemeinsam mit Günter Grass und Carola Stern, die Zeitschrift 'L'76. Demokratie und Sozialismus' heraus. Der Verband deutscher Schriftsteller wurde 1969 von ihm mitbegründet, und er war Präsident des Internationalen PEN-Clubs (1971 bis 1974).
Böll erhielt zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Georg-Büchner-Preis (1967), den Nobelpreis für Literatur (1972) und die Carl-von-Ossietzky-Medaille (1974).
Heinrich Böll starb am 16. Juli 1985 in Langenbroich/Eifel. Sein gesamtes Werk liegt im Taschenbuch bei dtv vor.