Produktbeschreibung
Das Schicksal einer Berliner Familie in der Emigration von 1933 bis 1935.
Kritik
"Als Kinderbuch-Autorin hat sie ein deutsches Tabu gebrochen." Die Zeit, 06/1988 "Ein Buch, um das Schaudern und um das Lächeln zu lernen." Süddeutsche Zeitung, 1974 "Ein Kinderbuch besonderer Art, dessen Lektüre auch Erwachsene nicht verschmähen sollten. Frankfurter Allgemeine Zeitung 1974
Leseprobe
Anna war mit Elsbeth, einem Mädchen aus ihrer Klasse, auf
dem Heimweg von der Schule. In diesem Winter war in Berlin viel
Schnee gefallen. Er schmolz nicht, darum hatten die Straßenkehrer
ihn auf den Rand des Gehsteiges gefegt, und dort bildete er seit
Wochen traurige, immer grauer werdende Haufen. Jetzt, im Februar,
hatte sich der Schnee in Matsch verwandelt, und überall standen
Pfützen. Anna und Elsbeth hüpften mit ihren Schnürstiefeln
darüber weg.
Sie trugen beide dicke Mäntel und Wollmützen, die ihre
Ohren warm hielten, und Anna hatte auch noch einen Schal umgebunden.
Sie war neun, aber klein für ihr Alter, und die Enden des
Schals hingen ihr beinahe bis auf die Knie. Der Schal bedeckte
auch Mund und Nase, so dass nur die grünen Augen und ein
Büschel dunkles Haar von ihr zu sehen waren. Sie hatte es
eilig, denn sie wollte noch im Schreibwarenladen Buntstifte kaufen,
und es war beinahe Zeit zum Mittagessen. Aber jetzt war sie so
außer Atem dass sie froh war, als Elsbeth stehen blieb und
ein großes rotes Plakat betrachtete.
"Da ist wieder ein Bild von dem Mann", sagte Elsbeth.
"Meine kleine Schwester hat gestern auch eins gesehen und
gedacht, es wäre Charlie Chaplin."
Anna betrachtete die starren Augen, den grimmigen Ausdruck. Sie
sagte: "Es ist überhaupt nichts wie Charlie Chaplin,
außer dem Schnurrbart..."
Autoreninfo
Judith Kerr war die Autorin der "Rosa Kaninchen"-Trilogie. Am 14. Juni 1923 kam sie als Tochter des Theaterkritikers Alfred Kerr in Berlin zur Welt. Sofort nach der Machtergreifung der Nazis musste die jüdische Familie fliehen. 1935 emigrierte sie nach London. Nach dem Krieg arbeitete Kerr als freiberufliche Malerin und Textildesignerin. Seit 1953 war sie als Redakteurin und Lektorin, später als Drehbuchautorin für die BBC tätig. 1954 heiratete sie den Schriftsteller Nigel Kneale. Nach der Geburt der Kinder Tacy und Matthew gab sie ihre Arbeit für einige Jahre auf. Von ihrem Mann ermutigt, begann Kerr Ende der 60er Jahre die Geschichte von Anna zu schreiben. Es ist ihre Geschichte, aber die Bücher sind, wie sie betonte, "Romane und keine Memoiren". "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl", 1974 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet, ist ein Standardwerk der Jugendliteratur und ein anerkannter Klassiker in der Emigrantenliteratur. Judith Kerr starb am 22.5.2019 in London.